Herzfrequenzvariabilität als Parameter zur Trainingssteuerung

Was genau ist die HerzvariabilitätWas ist die Herzfrequenzvariabilität überhaubt und wie kann man sie als Sportler einsetzen. Stichworte, die in Zusammenhang mit der Herzfrequenzvariabilität fallen, sind Früherkennung von Übertraining und Burn-out.

 

Die Herzfrequenzvariabilität (HRV = Heart Rate Variability) gilt als der zuverlässigste nicht-invasive Indikator für die physische und psychische Belastung und Fitness. In der Medizin wird die HRV-Analyse für die Früherkennung von zum Beispiel Bluthochdruck, Diabetes und Herzkrankheiten eingesetzt. Auch psychische Erkrankungen und Burn-out-Syndrome lassen sich frühzeitig erkennen. Im Sport kann mit der HRV-Analyse der Fitness- und Trainingsfortschritt kontrolliert und gesteuert werden.

Training und Leistungssteigerung

Das zugrunde liegende Prinzip der Leistungssteigerung ist der Superkompensationseffekt: Während des Trainings nimmt die Leistungsfähigkeit ab. Die Erschöpfung danach erfordert eine bestimmte Regenerationszeit. Nach dieser nimmt die Leistungsfähigkeit über das Ausgangsniveau hinaus zu. Wenn dann zum richtigen Zeitpunkt ein neuer Trainingsreiz gesetzt wird, kann sich dieser Prozess wiederholen und eine langfristige Leistungssteigerung tritt ein. Soweit die Theorie.

Wann ist der richtige Zeitpunkt für die nächste Trainingseinheit?

Was die Trainingsgestaltung in der Praxis so schwierig macht, ist die Bestimmung der richtigen Zeitpunkte: Wie belastend war die letzte Trainingseinheit? Wie lange dauert die Erholung, und wann ist der richtige Zeitpunkt für die nächste Belastung? Jeder Körper ist verschieden, das heißt, es gibt keine pauschalen, sondern nur individuelle Antworten auf diese Fragen. Die gute Nachricht: Über die Analyse der HRV können Belastung und Erholung gemessen und damit die Periodisierung des Trainings optimiert werden.

Was ist eigentlich eine Herzfrequenzvariabilität?

Selbst bei einem konstanten Puls folgen die Herzschläge nicht nach einer konstanten Dauer aufeinander. Die Dauer zwischen den Herzschlägen variiert. Diese Varianz wird mit Herzfrequenzvariabilität (HRV) bezeichnet. Je höher die Varianz der Intervalldauern, umso höher ist die HRV und umso erholter, fitter, gesünder ist man.

Zwei Kardiogramme mit jeweils gleichem Durchschnittspuls: links die regelmäßige Aufeinanderfolge der R-Zacken (niedrige HRV). Rechts variieren diese Abstände zwischen den R-Zacken (hohe HRV).

Das Autonome Nervensystem

Die HRV beschreibt den Zustand und die Leistungsfähigkeit des Autonomen Nervensystem (ANS). Das ANS heißt autonom, weil es der Teil des Nervensystems ist, der unserer willentlichen Kontrolle weitestgehend entzogen ist. Über das ANS werden Funktionen gesteuert, die viel zu wichtig sind, als dass sie in die Kontrolle des Menschen gelegt werden könnten. Hierzu gehören beispielsweise Atmung, Verdauung, Stoffwechsel und Funktionen des Herz-Kreislauf-Systems. Das ANS ist unterteilt in zwei Bereiche:

Das sympathische System sorgt dafür, dass wir in bestimmten Situationen maximal leistungsfähig sind. Es lässt das Herz schneller schlagen und sorgt für eine erhöhte Blutzufuhr zu Muskeln, Herz und Gehirn. Es erhöht den Blutzuckerspiegel und hemmt gleichzeitig andere Funktionen, wie Verdauung, Wachstum, Nierentätigkeit oder Insulinsekretion.
Das parasympathische System sorgt für Erholung, Entspannung und Wiederherstellung der Kräfte nach starker Belastung. Dafür verringert es unter anderem die Herzrate, regt zur Nahrungsaufnahme und Verdauung an und verbessert die Immunreaktivität.

Messung der parasympathischen und sympathischen Aktivierung

Bei einem gesunden Menschen sollte ein harmonisches Gleichgewicht zwischen parasympathischer und sympathischer Aktivierung herrschen. Dies bedeutet unter anderem, dass unser Körper sehr wohl in der Lage ist, eine außergewöhnliche Leistung zu erbringen, jedoch nur, wenn wir rechtzeitig dem parasympathischen System die Chance geben, Erholung und Regeneration anzustoßen. Eine Vielzahl physischer und psychischer Krankheiten wird dadurch verursacht, dass das parasympathische System nicht mehr rechtzeitig und ausreichend zum Einsatz kommt. Die Analyse der HRV ermöglicht die Messung der parasympathischen und sympathischen Aktivierung und damit eine Früherkennung pathogener Zustände. In Bezug auf den Sport sind folgende Zusammenhänge nachgewiesen:

Durch regelmäßigen Ausdauersport wird die Leistungsfähigkeit des sympathischen und des parasympathischen Teils des ANS signifikant verbessert. Entsprechend sind Sportler allgemein leistungsfähiger und erholen sich schneller von jeglicher Belastungsform. Diese erhöhte Leistungs- und Erholungsfähigkeit spiegelt sich in hohen HRV-Werten.
Während sportlicher Belastung ist die HRV sehr niedrig, nahe bei null.
Nach der Belastung steigt die HRV wieder an. Je intensiver die Belastung, umso langsamer erholt sich die HRV.

Beobachtung der Fitnessentwicklung

Sportler können durch die HRV-Analyse zum einen ihre mittel- und langfristige Fitnessentwicklung und damit die Auswirkung ihres Trainings beobachten. Andererseits lässt sich durch die HRV-Messung der aktuelle Erholungs- und Belastungszustand bestimmen und davon abhängig Intensität und Umfang des anstehenden Trainings anpassen.

HRV-Parameter

Einige HRV-Parameter gelten als Indikatoren für die parasympathische, andere für die sympathische und wieder andere für die gesamte Aktivierung. Alle Parameter werden allerdings aus derselben Messreihe berechnet: der Sequenz der RR-Intervalle. Das Messgerät (zum Beispiel der Brustgurt) muss also nur die Dauern zwischen den R-Zacken messen und die Sequenz all dieser RR-Intervalle an die Analysesoftware liefern. Als wissenschaftlich fundierte Indikatoren für die parasympathische Aktivierung gelten die Parameter RMSSD (Root Mean Sum of Squared Distances) und HF (hochfrequenter Anteil der RR-Veränderung). Als Maß für die sympathische Aktivierung werden meist der mittlere RR-Abstand und der LF (niederfrequenter Anteil der RR-Veränderung) herangezogen. Die Parameter SDNN (Standardabweichung in der RR-Sequenz) und TP (Gesamtleistung der RR-Veränderung über alle Frequenzen) gelten als Indikatoren für die Gesamtaktivierung. Im Sport wird für die Berechnung der Belastung, Erholung und Fitness meist der RMSSD herangezogen.

Wann und wie wird die HRV gemessen?

Generell unterschieden werden HRV-Kurzzeit-, Langzeit- und Trainingsmessungen. Während der Trainingsbelastung ist die HRV nahezu null und entsprechend wenig aussagekräftig. Entsprechend werden die RR-Intervalle während des Trainings meist nicht aufgezeichnet und ausgewertet. Als Maß für die kardiovaskuläre Belastung während des Trainings wird typischerweise nur die Herzfrequenz herangezogen. Langzeit HRV-Messungen werden über viele Stunden bis einige Tage erhoben. Sie dienen in der Medizin vornehmlich der Bestimmung kardiovaskulärer Anomalien im Alltag. Ein anderer interessanter Anwendungsfall dieser Art von Messung ist das Auffinden latenter Stressfaktoren und die frühzeitige Indikation stressbedingter Krankheiten. Kurzzeit-HRV-Messungen in Ruhe werden typischerweise über eine Dauer von 5 bis 10 Minuten aufgenommen. Die in dieser Messform erhobenen HRV-Parameter indizieren den tagesaktuellen Gesundheits-, Fitness- und Erholungs- bzw. Belastungszustand. Werden derartige Messungen täglich über mehrere Wochen erhoben, kann auf die Fitnessentwicklung und die Wirkung von verschiedenen Trainingsformen geschlossen werden. Athlet und Trainer können mit diesem Wissen individuell angepasste Trainingspläne gestalten und optimieren.

HRV-Messung am Morgen for dem Aufstehen

Zu beachten ist allerdings: Die aus den Kurzzeitmessungen ermittelten HRV-Parameter sind nur dann aussagekräftig, wenn die Messung in vollständiger körperlicher und geistiger Ruhe, am besten morgens direkt nach dem Aufwachen liegend oder entspannt sitzend durchgeführt wird. Bewegung, sprechen und husten sind genauso zu vermeiden wie anstrengende, aufregende oder beunruhigende Gedanken.

Die Herzfrequenzvariabilitätsmessung in einer App dargestellt.

HRV-basierte Trainingssteuerung

Einfach formuliert, werden in der HRV-basierten Trainingssteuerung Intensität und Umfang des Trainings an die tagesaktuelle Erholung und Fitness angepasst. Wobei der aktuelle Erholungs- oder Belastungszustand aus morgendlichen HRV-Ruhemessungen ermittelt wird. Der Mehrwert dieser Trainingsgestaltung wurde erstmalig in der 2007 veröffentlichten Arbeit von Kiviniemi und seinen Kollegen (Kiviniemi, A. M., Hautala, A. J., Kinnunen, H., and Tulppo, M. P. [2007]; Endurance training guided individually by daily heart rate variability measurements. Eur. J. Appl. Physiol. 101, 743–751. doi: 10.1007/s00421-007-0552-2) nachgewiesen. In der Studie wurden 30 Langstreckenläufer in drei Gruppen aufgeteilt: Eine Gruppe trainierte nach einem von einem Trainer sorgfältig ausgearbeiteten Trainingsplan, die Mitglieder der zweiten Gruppe richteten ihr Training nach den täglichen HRV-Messungen aus, die dritte Gruppe diente als Kontrollgruppe. Die nach HRV-Ruhemessungen trainierende Gruppe erzielte dabei die deutlich größte Leistungssteigerung.

Spikee als Auswertungstool

Für die effiziente Umsetzung HRV-basierter Trainingssteuerung bietet das webbasierte Tool spikee umfassende Möglichkeiten. spikee.de verspricht nicht die automatische Erstellung von Trainingsplänen. Vielmehr hilft spikee.de dem Sportler, sich selbst besser kennenzulernen.

Von der Messung bis zur Auswertung: die Herzfrequenzvariabilität in einem Schaubild dargestellt

Konkrete Fragestellungen, die mit spikee analysiert werden können, sind:

Wie fit bin ich heute? Darf oder soll ich heute intensiv und/oder lang trainieren?
Wie stark belasten mich die verschiedenen Trainingsformen? Welcher Trainingsform muss ich dann entsprechend mehr Beachtung schenken?
Wie lange ist meine Regenerationszeit, z. B. nach einem sehr intensiven Training oder einem Wettkampf?
Wann darf ich nach einer Krankheit wieder voll trainieren?
Periodisiere ich mein Training richtig? Stimmt die Abfolge von intensiven und regenerativen Einheiten?

Mit der dargestellten Fitnessmap kann die tagesaktuelle Erholungs- und Leistungsfähigkeit analysiert werden. Ein aus den persönlichen Daten gelerntes Modell teilt die Messungen in belastet (rot), erholt (grün) und moderat belastet (gelb) ein. An Tagen mit roten Messungen sollte der Sportler Intensität und Umfang seines Trainings eher reduzieren. Diese Empfehlung gilt insbesondere, wenn die Morgenmessung an mehreren aufeinanderfolgenden Tagen rot klassifiziert wurde. Die Ursachen für längere Perioden mit roten HRV-Messungen können Schlafmangel, sich anbahnende Krankheiten oder vorausgehende intensive Trainingsbelastungen sein.

HRV-Morgenmessungen werden in der Fitnessmap hinsichtlich eines Leistungs- und eines Erholungsscores dargestellt und klassifiziert. In der Timeline werden diese Messungen in ihrer zeitlichen Aufeinanderfolge dargestellt.

Wie hoch ist die Belastung nach dem Sport?

Wie stark Wettkämpfe oder unterschiedliche Trainingsformen belasten und welche Regenerationszeit sie beanspruchen, ist individuell unterschiedlich. Mit der dargestellten Listenansicht kann der Zusammenhang zwischen Training und Erholungszeit einfach analysiert werden. In jeder Zeile ist die klassifizierte Morgenmessung zusammen mit dem Training am Vortag dargestellt. Je mehr rot eingeteilte Morgenmessungen auf ein Training folgen, umso mehr Erholungszeit erfordert die entsprechende Trainingsform. Die Breite der Balken in der Spalte Training am Vortag leitet sich aus der Trainingsdauer ab, die unterschiedlich eingefärbten Bereiche der Balken repräsentieren die Dauer im jeweiligen Intensitätsbereich. Rot eingefärbt, ist die Dauer im höchsten Intensitätsbereich oberhalb 90 Prozent der maximalen Herzfrequenz (HFmax). Orange entspricht der Intensität von 80 bis 90 Prozent der HFmax, grün von 70 bis 80 Prozent HFmax und blau von 60 bis 70 Prozent der HFmax.

Vorschau: Darüber hinaus können in spikee auch Trainingsmessungen analysiert und langfristige Leistungssteigerungen dargestellt werden. An einigen Beispielen werden wir diese in den nächsten Wochen auf tritime-magazin.de vorstellen.

 

Prof. Dr. Johannes Maucher lehrt und forscht im Bereich Künstliche Intelligenz an der Hochschule der Medien in Stuttgart. Gemeinsam mit dem ehemaligen Laufprofi und mehrfachen Deutschen Meister Martin Beckmann und Annette Landmesser entwickelte Prof. Dr. Maucher das Trainingssteuerungstool www.spikee.de

 

Fotos: Thinkstock