Schreckgespenst Muskelfaserriss

anatomy of muscle tissue - the muscle structure.Die Diagnose Muskelfaserriss gehört zu den Schreckgespenstern eines jeden Sportlers: Doch mit der rechtzeitigen Behandlung und dem richtigen Verhalten des betroffenen Athleten kann die Zwangspause mehr als halbiert werden.

 

Auch wenn ein Muskelfaserriss in aller Regel eine Zwangspause von bis zu sechs Wochen bedeutet, kann diese Zeitspanne durch moderne Therapiestrategien stark reduziert werden, die sogar erste Sprints ab dem achten Tag ermöglichen, erste Wettkämpfe sind sogar ab der dritten Woche denkbar.

In meiner täglichen Arbeit als Physiotherapeutin stelle ich immer wieder fest, dass im Zusammenhang mit einem Muskelfaserriss viel zu viel Zeit vergeht, bevor ein Patient beim Arzt vorstellig wird. Bereits bei den ersten Anzeichen sollte der erste und direkte Weg der zu einem Arzt sein, denn das A und O für die einzuleitenden Schritte und eine schnelle Heilung ist natürlich eine 100 Prozent sichere Diagnose. Und an diesem Punkt fängt häufig bereits das Dilemma an. Viele Sportler verspüren zwar Schmerzen, verbinden diese jedoch nicht mit einem Muskelfaserriss, andere wiederum müssen tagelang auf einen Termin warten. So gehen wertvolle Stunden verloren. Ein Profifußballer wird sofort vom Teamarzt untersucht und behandelt. Triathleten haben es dagegen etwas schwerer, es sei denn, dass durch regelmäßige prophylaktische Besuche bei Sportarzt und/oder Physiotherapeuten ein Netzwerk entsteht, auf das sie im Krisenfall vertrauen können und schnelle unkomplizierte Hilfe bekommen. Gerade bei Triathleten ist nichts schlimmer als kostbare Zeit zu vergeuden, unabhängig davon, wann die Verletzung auftritt. Aber der Reihe nach.

Ein Skelettmuskel besteht aus mehreren Muskelfaserbündeln, die ihrerseits wieder aus mehreren einzelnen Muskelfasern zusammengesetzt sind und bis zu 15 cm lang sein können, im Schneidermuskel des Oberschenkels sogar bis zu 40 cm. Diese Muskelfaserbündel sind außen von Bindegewebe (Faszien) umhüllt. Eine einzelne Muskelfaser ist etwa so dünn wie ein menschliches Haar.

Faserriss oder Zerrung?
In Sportlerkreisen wird ein Faserriss häufig mit einer Muskelzerrung verwechselt. Wenn der Verletzte Glück hat und es sich nur um eine Zerrung handelt, kann er auch ohne jegliche physiotherapeutische Behandlung nach gut einer Woche wieder normal weitertrainieren. Bei einem Muskelfaserriss könnte die Genesung nahezu genauso schnell verlaufen, vorausgesetzt, die Behandlung beginnt unmittelbar nach dem Einsetzen der Schmerzen. Und weil die Symptome sich sehr ähnlich sind, sollte zur Sicherheit immer ein Sportarzt aufgesucht werden.

Symptome einer Muskelfaserzerrung
– Spannungsgefühl
– leichtes Ziehen im betroffenen Muskel
– sich langsam entwickelnde krampfartige Schmerzen
– Koordinationsstörungen
– extrem angespannter Muskel, dadurch Dehnungs- und Lockerungsversuche

Symptome eines Muskelfaserisses
– spontan heftige Schmerzen, wie Nadel- oder Messerstiche
– spontane Bewegungseinschränkung oder Bewegungsunfähigkeit
– brennender Schmerz der betroffenen Stelle
– gesteigertes Druckgefühl
– heftiger Ruheschmerz

Sind alle Fasern eines Muskelbündels gerissen, handelt es sich um einen Bündelriss, der von außen als Delle oder Beule zu ertasten ist.

Ursachen
– fehlendes, falsches Dehnen
– mangelndes Aufwärmen
– Überbelastung in Relation zum Trainingszustand
– Gewalteinwirkung von außen wie ein Sturz
– Elektrolyt-Mangel
– Entzündungen

Sofortmaßnahmen
– Pause
– Eis
– C(K)ompression
– Hochlagern

Auch wenn die Behauptung, dass bei einer Muskelverletzung jede verlorene Minute bei der Erstversorgung einen Tag Zeitverlust bei der Regeneration bedeutet, übertrieben scheint, sollte jeder Sportler die PECH-Regel kennen und richtig anwenden. Und zwar SOFORT. Die Aussage vieler Patienten „Bei Kilometer 12 hat es mir in den Waden gestochen, danach bin noch acht Kilometer irgendwie nach Hause gehumpelt!“ spricht Bände und zeugt vom falschen Ehrgeiz vieler Athleten. Denn bereits hier wurde die erste Regel – Pause, und zwar sofort – missachtet. In der ersten Stunde nach Auftreten der Verletzung (Akutphase) sollte man die betroffene Stelle mit nassen, kalten Kompressen behandeln, die alle 20 Minuten erneuert werden. Dabei sollte die verletzte Extremität nach Möglichkeit hochgelagert werden. Gleichzeitig sollte man sich um einen sofortigen Arzttermin kümmern, bei dem die Art und die Größe der Verletzung detailliert abgeklärt wird, und bis dahin die PECH-Regel weiter befolgen. Die Vorstellung beim Arzt ist auch hinsichtlich einer möglichen schnell einzuleitenden Thromboseprophylaxe erforderlich.

Tag 1 und Tag 3 nach der Verletzung
Nicht nur von außen – Kompressionsverbände mit schmerzlindernder Salbe und verletzte Extremität so oft und so lang wie möglich hochlagern –, sondern auch von innen kann die Verletzung therapiert werden. Dabei stellen Enzyme eine zentrale Komponente der Wundheilung dar. Auch wenn der menschliche Organismus selbst Enzyme herstellen kann, ist es ratsam, gerade im Zuge einer Verletzung zusätzlich Enzyme aus der Nahrung (Ananas und Kiwi) oder in Tablettenform aus der Apotheke zu sich zu nehmen. Ein weiteres Mittel, dass bei Muskelverletzungen mit Schwellungen zum Einsatz kommen sollte, ist der Wirkstoff Aescin, der die Beschwerden und Symptome lindert, allerdings ohne ihre Ursache zu beseitigen. Um die Heilung zu fördern, kann zudem eine Supplementierung mit Zink, Vitamin C und D sowie Aminosäuren nicht schaden.

Wichtig in diesem Zusammenhang ist, zu erwähnen, dass man keine schmerzlindernden Medikamente oral zu sich nehmen sollte, da diese den Heilungsprozess stören. Außerdem ist dadurch eine adäquate Schmerzrückmeldung nicht mehr möglich, und das wiederum begünstigt die Gefahr einer erneuten Verletzung. Gleiches gilt auch für den Alkoholkonsum während des Heilungsprozesses, der die Wundheilung unnötig verlängert und darüber hinaus auch die körpereigenen Regulierungsmechanismen negativ beeinflusst.

Nach der Diagnose durch den Sportarzt sollte der erste Weg zum Physiotherapeuten führen, der mithilfe einer Lymphdrainage und Elektrotherapie (oder auch Komplexbehandlungen) die verletzte Stelle „erstversorgt“. Bei der Lymphdrainage handelt es sich um eine passive Maßnahme, die bewirkt, dass die durch die Verletzung angestaute Lymphflüssigkeit im übertragenen Sinne schneller in Richtung Lymphknoten „geschoben“ wird, um von dort über die Nieren ausgeschieden zu werden. Je schneller die überschüssige Flüssigkeit abtransportiert wird, desto schneller reduziert sich auch der Druck auf das verletzte Gewebe, die betroffene Stelle kann sich besser entspannen.

Mit der an den ersten Tagen ebenfalls besonders wirksamen Elektrotherapie lassen sich mittels Iontophorese beispielsweise die Wirkstoffe einer Salbe besser in die Tiefe des Gewebes „einmassieren“ und werden somit näher an die verletzte Stelle transportiert. Des Weiteren lässt sich mit den verschiedenen „Elektroprogrammen“ auch eine Muskelentspannung erreichen, was besonders in der ersten Phase der Heilung sehr hilfreich ist. Später ist dann auch der Muskelaufbau beziehungsweise -erhalt über die Elektrotherapie möglich.

Ab dem 4. Tag
Bei richtigem Verhalten in den ersten drei Tagen kann bereits ab dem vierten Tag mit einer leichten Bewegung der verletzten Muskelpartie begonnen werden. Eine gute Möglichkeit zum Wiedereinstieg – besonders bei rad- und laufbedingten Verletzungen – ist das Aquajogging. Es hält nicht nur den Stoffwechsel auf Trab, sondern unterstützt auch über die Muskelpumpe den Abtransport vorhandener Restflüssigkeit. Besuche beim Physiotherapeuten sollten weiterhin täglich stattfinden. In dieser Phase sind sogenannte myofasziale Techniken und Dehnungen über den Gegenspieler des verletzten Muskels wichtig, um die Muskelfasern wieder neu auszurichten. Den durch einen Faserriss beschädigten Muskel kann man sich als großes Wollknäul vorstellen, also ein großes Durcheinander in den Muskelfasern, das der Physio durch manuelle Techniken neu sortiert, damit die verletzten Fasern wieder besser zueinanderfinden können. Dadurch entsteht kein unnötiges Narbengewebe im Muskel, das wiederum einen Störfaktor darstellen würde.

Ab dem 5.Tag
Da sich bei den meisten Verletzungen schnell eine Schonhaltung einschleicht, sollte durch den Physiotherapeuten eine Bewegungskontrolle beziehungsweise Gangschulung eingeleitet werden. Diese ist nicht nur für den Muskel selbst wichtig, sondern auch für den Kopf, damit der Sportler erkennt, dass die Bewegung wieder möglich ist.

Ab dem 8./10. Tag
Verläuft die Therapie ohne Komplikationen und fühlt sich der Sportler obendrein wohl, können in Absprache mit dem Physiotherapeuten Bewegungsumfang und Intensitäten gesteigert werden. Da nicht jede Wundheilung wie im Lehrbuch verläuft, ist ein individueller Therapieplan notwendig. Alle Belastungen sollten schmerzfrei ausgeführt werden können. Wenn Schmerzen an der betroffenen Stelle auftreten, muss das Training sofort beendet werden. Um neuen Verletzungen vorzubeugen, empfehle ich zusätzlich ein Koordinationstraining auf unterschiedlichsten Untergründen und mit verschiedenen Schwierigkeitsgraden.

In der zweiten bis dritten Woche kann ein Ziehen – nicht Stechen – an der betroffenen Stelle auftreten. Der Grund hierfür liegt bei den neu gebildeten Muskelzellen, die noch nicht ihre volle Elastizität erreicht haben. In dieser Zeit sollten keinesfalls harte Massagen oder übertriebene Dehnungen durchgeführt werden. Stattdessen sollte die Belastung ein wenig reduziert werden, bis das Ziehen wieder verschwunden ist. Bis das Gewebe jedoch zu 100 Prozent wieder hergestellt ist, dauert es allerdings 300 bis 350 Tage. Normales Training mit angepassten Umfängen und Intensitäten sowie Wettkämpfe sind bei der richtigen Therapie jedoch ab der dritten Woche möglich.

Text: Angela Kühnlein
Foto: Fotolia | anton91815

Angela Kühnlein ist Profi-Triathletin und ausgebildete Masseurin, medizinische Bademeisterin und Physiotherapeutin. angela-kuehnlein.de