Funktionelle Bewegungsanalyse

Laufen gilt als sehr beliebte Sportart mitunter deshalb, weil sie unkompliziert ist: Schuhe schnüren und los. Aber ist das wirklich so einfach? Dennis Sandig erklärt, was eine funktionelle Bewegungsanalyse bringt.

 

 

Vielen Einsteigern ist zu raten, eben nicht einfach so loszurennen. Wenn Ihr Körper in seiner Beweglichkeit, der Stabilität, eingeschränkt ist, sind fehlerhafte Bewegungsmuster kaum zu vermeiden. Wenn Sie Überlastungen, Reizungen und andere unliebsame Begleiterscheinungen ausschließen wollen, sollten Sie zunächst einmal an sich arbeiten. „Werden Sie fit, um korrekt zu laufen“ ist ein Motto, das jedem empfohlen werden kann.

Kernproblem Stabilität
Achten Sie bei den Trainingskollegen in Parks oder am Flussufer doch einmal auf den Laufstil. Schon auf den ersten Blick lassen sich häufig Bewegungen erkennen, die auf ein Ungleichgewicht in den grundlegenden Mustern schließen lassen wie das fehlende Strecken in der Hüfte oder zu wenig Aktivität beim Setzen des Fußes. Selbst mit dem bloßen Auge lässt sich analysieren, dass Freizeitläufer oftmals kurz nach der Landephase beim Abfangen des Schrittes mit dem Knie nach innen knicken. Die Folge sind Schmerzen und Entzündungen, bis hin zu langfristigen Schäden im Bereich der Gelenkflächen und Knorpel.

Die Fehleranalyse
Diese Fehler können dazu führen, dass Sie sich Probleme „anlaufen“. Chronische Schmerzen im Bereich der Kniegelenke zählen zu den verbreitetsten Leiden bei Läufern. Üblicherweise werden sie unter dem Begriff „Patellofemorales Schmerzsyndrom“ zusammengefasst. Das genaue Entstehen dieses Beschwerdebildes ist dabei ein sehr komplexes Geschehen. Es wird vermutet, dass dieses Syndrom bei Frauen weitaus öfter vorkommt als bei männlichen Läufern. Insbesondere die Achse der Beine ist bei Frauen häufiger zur Mitte des Körpers hin instabil. Diese sogenannte Medialisierung ist als Auslöser für das beschriebene Beschwerdebild verantwortlich. Aber auch bei Männern sind instabile Beinachsen zu beobachten.

Den Ursachen auf der Spur
In einer Studie amerikanischer Sportwissenschaftler versuchte man, die Ursachen für dieses Phänomen genauer zu entschlüsseln. Dabei untersuchten sie bei Läuferinnen mit und ohne Schmerzsyndrom die Aktivität verschiedener Muskeln. Die Forscher wurden fündig: Passend zur vermuteten Rotation im Knie, sind Unterschiede in der muskulären Ansteuerung von Muskeln beobachtet worden, die eine große Auswirkung auf die Beinachsenstabilität haben. Dabei rücken insbesondere die verschiedenen Muskeln des Gesäßes und ihre Funktion in den Fokus. Der große Gesäßmuskel unterscheidet sich weder im Timing noch in der Aktivität bei Läufern mit und ohne Schmerzen.

Die logische Folge
Von großer Bedeutung für die Beinachsenstabilität ist jedoch die tiefere Gesäßmuskulatur. Diese Muskeln stabilisieren die Beinachse, da sie an der Außenseite am Oberschenkelkopf ansetzen. Diese Muskeln werden bei Knieproblemen viel später und kürzer aktiviert. Die Folge davon ist die beschriebene Beinachsenproblematik. Da dies bei jedem einzelnen Schritt passiert und die passiven Strukturen im Knie entsprechend belastet werden, ist das Entstehen von Schmerzen, Entzündungen und Überlastungen eine logische Folge.

Wie Detektivarbeit
Eine Laufanalyse kann dienlich sein, Defizite im Stil zu erkennen. Allerdings müssen wir die wahren Täter finden, die ihn beeinflussen. Gerade wenn der Betreffende viel im Sitzen arbeitet, ist oftmals das richtige Aktivieren der Muskulatur nicht mehr möglich. Dauerhafte Inaktivität über den Tag ist hierfür der Auslöser. Eine Woche hat 168 Stunden – überlegen Sie doch einmal, wie viele Stunden davon für das Training aufgewendet werden.

Ein einfacher Test
Ein einfacher Test ist in der Lage, derartige Probleme zu erkennen. Beim Funktionelle Bewegungsanalyse (FMS) werden Fehler in der Ansteuerung, aber auch Einschränkungen in der Beweglichkeit und in der Stabilität analysiert. Erst so kann die richtige Auswahl der Athletikübungen die Voraussetzungen für einen optimalen Laufstil schaffen. Wenn nicht an den individuellen Problemen gearbeitet wird, hilft ein alleiniges Techniktraining nicht. Die Stabilität und die Mobilität in den Gelenken bildet die Grundlage für das Ausführen von Bewegungen. Ebenso muss das korrekte Aktivieren und Hemmen von Muskeln zunächst einmal angebahnt werden.

Objektiv bewerten
Der Functional Movement Screen ist ein Beweglichkeits- und Stabilitätstest, der von dem amerikanischen Physiotherapeuten und Athletiktrainer Gray Cook in Zusammenarbeit mit seinen Kollegen in den 90er Jahren entwickelt wurde. Dieser Test entstand aus Cooks jahrelanger Erfahrung in der Betreuung von orthopädisch-traumatologisch betroffenen Patienten und Sportlern. Der Test hilft, die Funktion des gesamten Körpers komplex zu betrachten. Statt einzelner Körperpartien werden grundlegende Bewegungen erfasst. Neben dem komplexen Zusammenspiel von Muskeln, Sehnen, Bändern und Gelenken geht der FMS tiefer auf das Entstehen der menschlichen Bewegung ein. Es werden grundlegende Muster erfasst und bewertet.

Wie wird bewertet?
Ziel des FMS ist es, Asymmetrien, Dysbalancen und Schwachstellen aufzudecken. Das geschieht anhand von sieben grundlegenden Bewegungen. Jeder Mensch sollte sie korrekt, das heißt ohne Ausweichbewegungen oder Schmerzen, durchführen können. So gibt beispielsweise die tiefe Reißkniebeuge Aufschluss über die Beweglichkeit der Sprung-, Knie-, Hüft- und Schultergelenke, während gleichzeitig die Stabilität des Rumpfs beurteilt wird. Bei einem Ausfallschritt überprüft man zusätzlich die Beinachsenstabilität, also die für den Alltag und den Sport so bedeutende Fähigkeit, Sprung-, Knie- und Hüftgelenke des Standbeins im Lot beziehungsweise in einer Achse zu halten.

Das genaue Punktesystem
Die Bewertung erfolgt über ein Punktesystem. Drei Punkte gibt es, wenn die Übung perfekt durchgeführt werden kann. Wenn die Übung nur mit Kompensations-/Ausweichbewegungen absolviert wird, erhält der Proband lediglich zwei Punkte. Falls die Übung unvollständig ausgeübt wird, bewertet man nur mit einem Punkt. Schmerzen während einer Bewegung ergeben null Punkte. Studien zeigen, dass das Verletzungsrisiko um das bis zu Elffache erhöht sein kann, wenn 14 oder weniger Punkte erzielt wurden.

Einfach und doch komplex
Die Testübungen sehen auf den ersten Blick sehr einfach aus, helfen aber, höchst komplexe Schlüsse zu ziehen. So hilft die tiefe Überkopfkniebeuge (Deep Squat), sowohl die Beine, die Hüfte und den Oberkörper sowie den Schulterkomplex zu bewerten. Bei der Ausführung wird eine Stange mit gestreckten Armen über den Kopf gehalten und dann eine tiefe Kniebeuge durchgeführt. Sie dient dazu, die beidseitige, symmetrische Mobilität der Hüfte, Knie und Knöchel beurteilen zu können.

Auch die Mobilität des Schultergürtels und der Brustwirbelsäule wird erfasst.

Athletik zählt
Das die Athletik ein wichtiger Bestandteil des Lauftrainings ist, liegt auf der Hand. Allerdings muss die Übungsauswahl auf den jeweiligen Sportler mit einer individuellen Fragestellung ausgerichtet sein. Von Dehnübungen über Faszientraining bis hin zu Kräftigungsübungen für die Beinachse reichen mögliche Trainingsinhalte. Eine funktionelle Bewegungsanalyse kann diese Informationen geben. Wer an sich arbeitet, insbesondere an seinen Schwächen, schafft sich so die wesentlichen Grundvoraussetzungen für das optimale Laufen.

Dennis Sandig – Als Mitarbeiter am Sportwissenschaftlichen Institut der Universität des Saarlandes und der Universität Würzburg hat er Diskussions- und Forschungsbeiträge veröffentlicht. Er hinterfragt mit seinen Arbeiten etablierte Methoden und analysiert neue Ansätze zur Leistungsdiagnostik und Leistungssteigerung. Als langjähriger Sportlicher Leiter und Team Trainer hat er u.a. die Equipe Nürnberger Versicherung betreut. Mehr Infos