Weshalb sind Infekte so gefährlich?

Der plötzliche Herztod beim Sport ist in aller Regel kein schicksalhaftes Ereignis und primär auch nicht dem Sport anzulasten. In vielen Fällen kann er vermieden werden.

Den meisten Sportlern ist bekannt, dass eine vorschnelle Wiederbelastung nach einem fieberhaften In-fekt beziehungsweise einer Viruserkrankung gefährlich sein kann. Dennoch wird häufig „munter“ weiter trainiert. Leider sind etwa fünf Prozent der Todesfälle junger Athleten die Folge einer Herzmuskelentzündung (Myokarditis). tritime | Leidenschaft verbindet Chefredakteur Klaus Arendt traf sich mit dem in Freiburg ansässigen Kardiologen Dr. med. Kurt Johannes Schmieg und unterhielt sich mit dem Arzt über den Risikofaktor Infekte.

Herr Dr. Schmieg, welche Warnhinweise muss ich als Sportler berücksichtigen, um das Risko eines plötzlichen Herztodes sicher zu vermeiden?
Der plötzliche Herztod ist in vielen Fällen die Folge einer nicht erkannten Herzerkrankung. Er kann meist verhindert werden, wenn Beschwerden ernst genommen, richtig interpretiert und die notwendigen Schritte rechtzeitig veranlasst werden. Alle Beschwerden, die beim oder nach dem Sport wiederholt auftreten, sollten ärztlich abgeklärt werden. Plötzliche Todesfälle in der Familie des Sportlers können der Anlass sein, eine genetisch bedingte Herzerkrankung auszuschließen. Die Zeichen sind häufig unspezifisch und können in Form einer langsamen Erholung, Müdigkeit oder einer unklaren Leistungsabnahme nach stattgehabtem Infekt auftreten. Dahinter kann sich eine Funktionsstörung des Herzens verbergen. In solchen Fällen können als „Warnsymptome“ Rhythmusstörungen auftreten, die sich unter Belastung weiter verschlimmern und schlimmstenfalls in den „plötzlichen Herztod“ münden.

Spielt das Alter in diesen Fällen eine Rolle?
Das Alter spielt eine eher untergeordnete Rolle. Sowohl 20- als auch 60-jährige Sportler können davon betroffen sein.

Wie sollen sich Sportler im Falle eines Infektes verhalten?
Nach Infekten, insbesondere fieberhaften, die eine Antibiotikatherapie notwendig machen, sollte eine längere Sportpause eingehalten werden. Bei Fieber gilt ein absolutes Sportverbot, weder Training noch Wettkämpfe sind möglich. Jede vorzeitige Wiederaufnahme des Leistungstrainings nach Infekten kann dauerhafte Schäden am Herzen hinterlassen. Sind beispielsweise nach einer Woche Trainingspause die Ruhe- und Belastungs-Herzfrequenzwerte weiter erhöht, können das bereits erste Anzeichen für eine gestörte Herz-Kreislauf-Funktion sein. Dann sollte ein Kardiologe aufgesucht werden.

Wie sieht die Prognose aus, wenn man als Sportler einen Herz-Kreislauf-Stillstand erleidet?
Schlecht. Weltweite Untersuchungen haben gezeigt, dass die Prognose durch Kammertachykardien oder Kammerflimmern äußerst schlecht ist und dass nur circa fünf Prozent der Patienten dieses Ereignis überleben. Nur durch rasche, gezielte Maßnahmen ist ein Überleben solcher Patienten möglich. Das richtige Verhalten im Notfall ist entscheidend!

Und wie soll ich als Laie reagieren, wenn ein Sportler vor meinen Augen zusammenbricht?
Der sofortige Notruf ist die Voraussetzung dafür, dass der Notarztwagen schnell eintreffen kann. Die Laienreanimation, im Sinne einer akuten Wiederbelebung, überbrückt die Zeit, bis der Notarzt vor Ort ist. Die Aussichten sind umso besser, je schneller die Wiederbelebungsmaßnahmen eingesetzt haben und je weniger Zeit zwischen dem Ereignis und dem Einsetzen der Reanimation verstrichen ist.

An öffentlichen Plätzen und Einrichtungen sind immer häufiger Defibrillatoren zu sehen …
Genau, das Konzept der sogenannten Frühdefibrillation. Mithilfe halbautomatischer Defibrillatoren (AEDs) setzen trainierte Ersthelfer das Herz wieder in Gang. Halbautomatische Defibrillatoren sollen an Orten installiert werden, an denen sich viele Menschen aufhalten, im Idealfall an Flughäfen, in Sporthallen oder Einkaufszentren. Aus diesen Überlegungen heraus wurden in Deutschland im Rahmen der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 bereits alle Fußballstadien mit Defibrillatoren ausgestattet.

Wie häufig kommen plötzliche Todesfälle beim Sport vor?
Die Häufigkeit plötzlicher Todesfälle beim Sport ist glücklicherweise außerordentlich niedrig. Bei jungen Sportlern wird sie mit maximal 2 pro 100.000 im Jahr angegeben. Das Risiko steigt jenseits des 40. Lebensjahres an. Folgende drei Faktoren beeinflussen das Risiko deutlich:
Faktor Mann: Bei Männern kommt der plötzliche Herztod beim Sport deutlich häufiger als bei Frauen vor. Das Risiko ist etwa um das 10-fache erhöht.
Faktor Alter: Bei den über 60-jährigen Sportlern ist die Häufigkeit etwa fünfmal höher als im jungen Erwachsenenalter.
Faktor Intensität des Sports: Je intensiver eine Sportart den Körper belastet, umso häufiger treten plötzliche Todesfälle auf. Deshalb gehören auch Marathon und Triathlon diesbezüglich zu den Risikosportarten.

Welche genauen Ursachen liegen den bekannten Todesfällen zugrunde?
Bei jungen Sportlern dominieren angeborene Erkrankungen des Herzmuskels ‒ hypertrophe Kardiomyopathie bei etwa 30 Prozent, Anomalien der Herzkranzgefäße bei etwa 15 Prozent oder entzündliche Herzerkrankungen bei etwa 5 Prozent der bekannten Fälle. Aber auch der Aufprall von harten Gegenständen, wie zum Beispiel eines Balls auf dem Brustkorb, kann zu gefährlichen Rhythmusstörungen bis hin zum plötzlichen Herztod führen, die Häufigkeit liegt bei etwa 20 Prozent. Unter den sonstigen Ursachen sind Störungen zu verstehen, die als primär „elektrische Herzerkrankungen“ zusammengefasst werden. Hier ist das Reizleitungssystem des Herzmuskels erkrankt. Dazu gehören das Long-QT-Syndrom, das Brugada-Syndrom und das Wolff-Parkinson-White-Syndrom (WPW-Syndrom), welche familiär gehäuft auftreten. Und bei den Sportlern über 35 Jahren dominiert als Ursache eines plötzlichen Herztodes mit Abstand die koronare Herzkrankheit, die Verkalkung der Herzkranzgefäße.

Und wie erkenne ich mein ganz persönliches Risiko?
Es gibt in Deutschland sportartenabhängig verschiedene Untersuchungsprogramme: Für die Fußballspieler der ersten und zweiten Bundesliga ist seit 1999 eine internistisch-kardiologische Untersuchung Pflicht. Sie beinhaltet zumindest ein Belastungs-EKG, Echokardiogramm und Laboruntersuchungen. Inzwischen hat eine Arbeitsgruppe der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie (ESC) systematische Herz-Kreislauf-Untersuchungen für alle Sportler vor einer Wettkampfteilnahme gefordert. Sie stützt sich dabei auf Erfahrungen in Italien, wo seit mehr als 25 Jahren Herzuntersuchungen vor Wettbewerben gesetzlich vorgeschrieben sind. Dadurch sind nach Ansicht der Experten viele Todesfälle beim Sport verhindert worden.

Welche Untersuchungen sind das genau?
Der Aufwand ist nicht groß. Außer der eingehenden körperlichen Untersuchung sollte ein 12-Kanal-EKG zur Beurteilung vorliegen. Der medizinische Leiter des Berlin-Marathon geht noch weiter und empfiehlt vor dem Marathon mindestens ein EKG in Ruhe und unter Belastung, eine Ultraschallaufnahme des Herzens, eine Lungenfunktionsdiagnose sowie eine Blutanalyse. Die Berliner bieten unmittelbar vor dem Marathon eine medizinische Untersuchung an. Bei einem der letzten Marathons nahmen 800 Läufer dieses Angebot an, 170 wurde ein unverbindliches Startverbot erteilt. Alle haben sich daran gehalten. Der Tod eines 19-Jährigen während des Hamburg-Marathon hätte möglicherweise auf diese Art verhindert werden können.

Existieren hinsichtlich solcher Voruntersuchungen generelle Empfehlungen?
Wenn keine Beschwerden vorliegen, ist die präventive sportmedizinische Untersuchung meist eine Leistung, deren Kosten vom Sportler alleine getragen werden müssen. Wer im Alter von über 35 Jahren Risikofaktoren für Gefäßerkrankungen (Arteriosklerose) aufweist, wie beispielsweise frühe Herzinfarkte in der Familie,  Rauchen, Übergewicht, hohes Cholesterin, Bluthochdruck oder Diabetes mellitus, sollte sein Herz untersuchen lassen. Das gilt erst recht, wenn man sportlich aktiv werden will, weil da das Herz einer größeren Belastung ausgesetzt wird.

Was müssen bereits Erkrankte berücksichtigen?
Auch für die, die bereits an einer Herzerkrankung leiden, ist die körperliche Bewegung naturgemäß sehr wichtig, zum Beispiel in Form von Herzsportgruppen. Wer ambitionierter trainieren möchte, muss sich einer gründlichen kardiologischen Untersuchung unterziehen. Da sich die meisten dieser Patienten aufgrund ihrer Vorerkrankung in fachärztlicher Nachsorge befinden, sind diese Patienten in aller Regel besser überwacht als Herzgesunde.

Herr Dr. Schmieg, ich danke Ihnen sehr für Ihre Ausführungen.

Dr. med. Kurt Johannes Schmieg ist Facharzt für Innere Medizin, Kardiologie und  mit Schwerpunkt Sportkardiologie.Der in Freiburg im Breisgau niedergelassene Facharzt und ambitionierte Triathlet ist Autor umfangreicher Fachpublikationen und ein gefragter Interviewpartner.
Fotos: Ralf Graner