Raceday mal anders:
Der Tag aus Sicht eines Trainers

Als Athlet ist man am Renntag meist nur mit sich beschäftigt und damit, eine möglichst gute Performance abzuliefern. Wie aber geht es dem betreuenden Trainer, den mitgereisten Familienmitglieder oder den Freunden? Dieser Beitrag zeigt die „andere“ Seite – die aufwühlende Sicht eines Trainers und Betreuers während des Rennens.

Die meisten Rennen der Saison 2014 sind Geschichte. Viele Athleten haben sich in die Off-Season verabschiedet oder schon wieder mit den Vorbereitungen für 2015 begonnen. Jetzt ist auch die Zeit, um noch einmal ausführlich die Ergebnislisten der vergangenen Rennen zu checken und schöne Erinnerungen der vergangene Saison Revue passieren zu lassen. Aber vergesst nicht, auch einmal an die „Anderen“ zu denken, die bei den letzten Rennen immer an eurer Seite waren. Um euch die andere Seite etwas näher zu bringen, hat Utz Brenner einen etwas anderen Rennbericht geschrieben: Der Renntag aus Sicht eines Trainers.

3.45 Uhr morgens, der Wecker holt mich aus dem Halbschlaf. Kurze Orientierung und erste Beruhigung für den Puls. „Hey, du musst nicht ins Wasser …. aber die Nervosität weicht keinen Millimeter zurück. Also aufgestanden, in die Klamotten reingehüpft und auf den Weg zu meinen Athleten gemacht.

Was mache ich nur hier?
Ich fahre durch eine fast menschenleere Großstadt. Man triffst nur vereinzelt auf anderen Menschen – z.B. die, die gerade von einer Party nach Hause schleichen. Ich ertappe mich bei dem Gedanken, „die haben es gut, die haben nicht diesen Druck und gehen jetzt zum Schlafen.“ Auf den letzten Metern vor dem ersten Aufeinandertreffen mit meinen Athleten gehe ich noch einmal das Rennen im Kopf durch. Haben wir das Ziel klar festgelegt, sind wir vorbereitet, wenn etwas im Rennen schief geht, ist sie oder er heute topfit ….. ? Dann die erste Begegnung mit meinen Schützlingen an diesem Morgen. Auf die Frage: „alles klar und gut geschlafen“? folgt ein liebevolles, herzliches, sympathisches „ MhhhMorgen“.

Mädchen für alles
Meine erste Aufgabe besteht darin, heißes Wasser zu besorgen, um löslichen Kaffee anzurühren. Alles ist soweit vorbereitet, wir gehen direkt zum Startbereich durch die „leere“ Stadt mit unseren Freunden, die es ja so gut haben … Kurz vor Erreichen der Wechselzone  philosophiere ich über die Frage, warum eigentlich fast immer der Trainer/Betreuer die Luftpumpe trägt.

Ruhe bewahren und einen souveränen Eindruck machen
Ja, ihr seht, das Pumpentragen ist ein ernstzunehmendes Ablenkungsmanöver des Unterbewusstseins gegen diese verdammte Nervosität. Auch ich stelle mir an dieser Stelle die Frage, „muss das sein“ oder „kann es nicht schon 24 Stunden später sein“? Am Rad angekommen folgt der übliche Check, ist noch Luft im Reifen?! Dieses Ritual wird in der Regel alle paar Minuten durchgeführt und selten ist die Konzentration auf die Fingerkuppe so hoch, wenn der  Gummi des Mantels berührt wird …. Luft ist drin!  Es folgen weitere Vorwettkampfrituale wie der Gang zur Toilette, das Warm-up gefolgt vom Anziehen des Neoprens. Danach geht es zum Einschwimmen. Parallel dazu findet die Diskussion statt, wo soll ich mich hinstellen … Die Aufstellung an der Startlinie folgt und der Sprecher kündigt den Start in einer Minute an. Ich stehe auf dem Steg, schaue in die Gesichter meiner Ahtleten und suche nach Antworten „wie ist die Form“, „wie wird das Schwimmen laufen“ etc.

Die Befreiung
Der Startschuss fällt und mir wird erst später bewusst, dass mein langgezogener Anfeureungsruf diesen begleitet … er war Balsam für meine Nerven, auch wenn dieser Schrei völlig umsonst war. Die nächsten Minuten nutze ich für ein paar Gespräche unter den Betreuern. Die Meinung ist einhellig, wir sind gottfroh, dass wir jetzt nicht im Wasser sind …

Die Zeit bis zum Schwimmausstieg wird genutzt, um schnell einen Kaffee zu trinken, dann wird die bereits genauestens ausgewählte Position eingenommen und das Warten beginnt. Ihr müsst es euch so vorstellen, wir Trainer haben bei allen drei Disziplinen einen Zeitkorridor im Kopf bzw. berrechnet. Der erste Bereich ist ein unbegründeter Hoffnungsbereich, der in der Regel nie eintrifft. Der mittlere Bereich spiegelt die Trainingsergebnisse wieder und sollte in der Regel eingehalten werden. Der dritte Bereich ist das sogenannte worst-case-scenario und sollte am besten auch nie eintreten. Komischer Weise tritt dieser Fall aber häufiger ein, als einem als Trainer lieb ist.

Zwischen Triumph und Enttäuschung
Jetzt aber zum Rennen. Ich schaue ins Wasser und identifiziere diverse Athleten (unter uns, die Konkurrenz). Dann startet der „mittlere Bereich“. Ich überprüfe jeden Schwimmstil und tatsächlich sehe ich meine Athleten – die Zeit bzw. Abstände lösen Freude in mir aus. Ein schneller Sprint ans Ende der Schwimmstrecke und ein langgezogener Anfeuerungsruf folgt in Richtung meiner Athleten … da war sie wieder, die Beruhigunsmassnahme und zum ersten Mal das Gefühl der Euphorie. Übrigens ist der Gegenpart von Euphorie die Ernüchterung. Dieses Wechselbad der Gefühle findet in der Regel während des Rennens andauernd statt.

Jetzt ist wichtig, dass der Betreuer/Trainer Sicherheit ausstrahlt und seinem Athleten „Halt“ gibt. Deswegen gibt es die Ernüchterung nur als persönliche Gefühlsregung, aber niemals als verbale bzw nonverbalen Ausdruck. Die Disziplinen ändern sich, aber der Ablauf, das „galoppieren der Hormone“, die Anspannung bleibt. Während des Radfahrens gebe ich die Abstände durch, erinnere meine Athleten an die Rennstrategie, überprüfe diese an Hand der Zeiten und lege eventuell neue Vorgehensweisen fest.

Mut zu sprechen
Der spannendste Abschnitt ist der abschliessende Lauf. Man liest und beurteilt als Trainer das gesamte Rennen und erkennt, wo kann und wird sich der Athlet einreihen. Ich denke, der wichtigste Punkt ist, dass der Athlet spürt, dass man jetzt für ihn da ist. Die Ansagen reichen von beruhigenden Aussage bis zum lauten, hoffentlich motivierenden Anfeuern.  Aber bitte niemlas sagen: „you are looking good“ – was soviel heißt wie, „schau, dass du noch halbwegs ordentlich ins Ziel kommst“.

Wir sind stolz auf euch
Die Athleten sind gut ins Ziel gekommen. Ich selbst bin mir sicher, dass wir Trainer/Betreuer heute wieder merklich älter geworden sind. Aber euch Athleten sei gesagt, was ihr da draußen am Leisten seid, ist unglaublich. Aber ihr sollt auch wissen, in jeder Sekunde fiebern wir mit, wir kämpfen mit, freuen uns für euch und wir leiden mit euch. Und wenn ihr voller Glückseligkeit im Ziel seid, dann macht es uns stolz, dass wir einen kleinen Teil dazu beigetragen haben und freuen uns darauf, bald wieder mit euch, morgens um 3.45 Uhr, bei einem löslichen Kaffee, einem eurer Rennen entgegenzufiebern.

Text: Utz Brenner