Caroline Steffen: Das Leben der Kämpferin

Stellen Sie sich vor, Sie würden nie länger als einen Monat an einem Ort verweilen! Stellen Sie sich vor, Sie würden Ihre Aufgaben im Job nie genau wissen, sondern erst am Morgen Ihr genaues Arbeitspensum vom Chef erfahren! Und stellen Sie sich vor, Sie würden vor dem Frühstück von eben diesem „Boss“ mitgeteilt bekommen, dass Sie vorher noch 40 Kilometer zu laufen haben.

Unvorstellbar? Schwierig? Unrealistisch? Ganz und gar nicht.

Eine der aktuell weltweit besten Langdistanztriathletinnen lebt dieses Leben … und sie liebt es sogar. Mit uns sprach Caroline Steffen über ihr Leben, welches so völlig anders ist als das eines „normalen“ Menschen.

Überraschungen sind bei Caroline Steffen an der Tagesordnung: Wo andere Athleten eine Wochen- oder Monatsplanung machen, wird bei Caroline Art, Umfang und Qualität des Trainings am Frühstückstisch entschieden. Ihr australischer Erfolgstrainer Brett Sutton, von vielen auch als der Felix Magath des Triathlon bezeichnet, schaut sich seine Athleten morgens an, spricht mit ihnen und legt dann fest, was auf dem Plan steht. Das können 200 Kilometer Radfahren, aber auch drei Laufeinheiten sein, die sich wie folgt gliedern: Eine Stunde Dauerlauf vorm Frühstück, Mittags eine Stunde Hill-Repeat-Läufe und abends noch mal 1-1,5 Stunden Laufen. Das Motto von Brett Sutton: Hart macht, was hart ist. Was manch einem wie böse Schikane vorkommt, betrachtet sein Schützling Caroline, die von ihm den kämpferischen Spitznamen Xena bekam, als wertvolles Mentaltraining: „Ich weiß, dass er es gut mit mir meint und dass mein Coach das Beste für mich will“, sagt sie mit ihrem charmanten Schweizer Dialekt. Und tatsächlich kann man sich selbst als Laie sehr genau vorstellen, dass diese spontanen harten Einheiten eine höchst effektive Abhärtung darstellen – für Körper UND Geist. Ungewohnte Situationen im Wettkampf, wie sie ja beim Triathlon an der Tagesordnung sind, können Caroline nicht mehr wirklich schocken. So geschehen im Juli 2011 beim Ironman Frankfurt, als sie klar auf Siegerkurs laufend, von Krämpfen gezeichnet immer wieder stehen blieb und sich dehnen musste. Andere wären hier verzweifelt, hätten aufgegeben. Nicht aber Xena: Sie biss sich durch und gewann. Schnell wird klar, dass das Training der zweifachen Ironman-Europameisterin kein Zuckerschlecken ist und tatsächlich gibt sie zu: „Manchmal ist es zum Verzweifeln: Es kann sein, dass bis zu dreimal am Tag das Programm geändert wird.“ Flexibilität im Kopf ist also Trumpf. Die einzige Konstante im Trainingsalltag ist, dass man gegen Abend ab 17 Uhr Zeit für sich hat. Wenn man bedenkt, dass ihr Arbeitstag in Australien bereits um 5 Uhr beginnt, vermag man erst wirklich einzuschätzen, was Triathlontraining auf Weltspitzenniveau bedeutet …

Kein Tag wie der andere
Die hochgewachsene Blondine aus dem Schweizer Örtchen Spiez im Berner Oberland entspricht so gar nicht dem Klischee des typischen stets korrekten, fest verwurzelten und planvollen Schweizers. Caroline liebt ihr „Vagabundenleben“, welches sie seit drei Jahren führt. „Ich mag das Reisen und schätze es, im Winter in Australien sein zu können, weg von der Kälte und vom Schnee.“ Wohl habe die amtierende Ironman-Vizeweltmeisterin als Kind auf Langlaufskiern gestanden und es auch im Erwachsenenalter noch einmal mit Skating versucht, dabei aber schnell festgestellt „dass das nicht ihre Sportart ist“. Stattdessen hat sie sich mit Leib und Seele dem Triathlon verschrieben, den sie als „Lebensphase“ beschreibt und „sehr genießt“. Genießen tut sie auch die lockere Lebensart der Australier. Seit 2009 lebt sie an der Sunshine Coast, in Mooloolaba, nördlich von Brisbane: „Sicher, ich musste mich schon erst an diese Hang-Loose-Philosophie der Australier gewöhnen. Doch mittlerweile mag ich diesen Lifestyle“. Zum Glück möchte man meinen, schließlich ist sie seit vier Jahren mit dem Australier David Dellow ein Paar, der auch bei Brett Sutton trainiert. „David und ich leben zwar gemeinsam, trainieren tut aber jeder für sich“, sagt die Schweizerin. „Beruf und Privates trennen wir.“ Dennoch ist das Gesprächsthema des australisch-schweizerischen Triathlonpaares natürlich häufig der ausgeübte Sport. Und beide wissen es zu schätzen, dass der Partner den gleichen Beruf ausübt. Dadurch ist auch das gegenseitige Verständnis hoch. „Wenn ich abends um 21 Uhr müde bin, versteht David das“, so Steffen. Ein weiterer Vorteil ist, dass beide zusammen eine sportgerechte gesunde Ernährung für wichtig halten. So gibt es im Hause Dellow-Steffen wenig Kohlenhydrate, dafür viel Eiweiß in Form von Fisch, Tofu und Fleisch, welches meist von David zubereitet wird. („Er ist der bessere Koch!“) Auf die Frage, ob ihr denn nicht manchmal etwas fehle und sie dieses spontanen Lebens nicht überdrüssig ist, lacht Caroline: „Doch, dieses Jahr bei der WM auf Hawaii: Bei Kilometer 20, da dachte ich, ich höre auf mit Triathlon, werde sesshaft, bekomme Kinder und führe ein ganz normales Leben. Doch schon im Ziel wusste ich, dass ich das nicht ernst meinte. Ich möchte noch einige gute Jahre im Triathlon erleben.“ Dass das so sein wird, davon kann man ausgehen. Zweimal war sie bei der Ironman-Weltmeisterschaft schon Zweite. Spektakulär war das Jahr 2010, als sie „quasi aus dem Nichts“, zum ersten Mal als Profi startend, auf den zweiten Platz rannte. In diesem Jahr war es für die als Favoritin gehandelte Steffen denkbar knapp. Erst wenige Kilometer vor dem Ziel wurde sie von der späteren Siegerin Leanda Cave überholt. 65 Sekunden fehlten zum Sieg. Ein schrecklicher Moment für die Wahl-Australierin: „Ein Chaos von Emotionen kam in mir hoch. Ich freute mich über das gute Rennen und den Vizeweltmeistertitel, doch da war auch ein großes Stück Enttäuschung in mir. Ich habe alles gegeben, das war klar, doch sollte es nicht mein Tag sein.“ Selbstredend, dass Steffens größtes Ziel „ein Sieg auf Hawaii“ heißt. Jetzt erst recht.

Leistungssteigerung noch möglich
Durchleuchtet man die drei Disziplinen, so stellt man schnell fest, wo noch Potenzial schlummert: Steffens Leistungen auf dem Rad sind eine Klasse für sich. Die Frau, die früher auch die Tour de France der Damen bestritt, hält mit 4:35:29 Stunden den Weltrekord über die 180 Kilometer im Triathlonrennen. Regelmäßig fliegt sie auf ihrem Rad regelrecht an der Konkurrenz vorbei. Und dennoch sieht sie Potenzial: „Die letzten vierzig, fünfzig Kilometer auf dem Rad sollte ich noch stärker werden.“ Viele Möglichkeiten, die Leistungskurve nach oben zu schieben, hat sie in dieser Disziplin freilich nicht: Bei 20 Stunden Radtraining pro Woche, einer idealen Sitzposition und bestem Material, wie sie sagt, bleiben ihr dennoch zwei Stellschrauben. „Ich kann eventuell noch mehr Krafttraining und ein paar Zeitfahrstunden einbauen.“ Deutlich mehr Luft nach oben hat sie in der dritten Disziplin: „Ich habe ja erst 2010 so richtig mit dem Laufen begonnen, deshalb sehen wir auch hier die meisten Verbesserungsmöglichkeiten. Das betrifft zum einen die Schnelligkeit und zum anderen die Qualität. Zurzeit stehen rund 100 Laufkilometer in der Woche an. Beim Schwimmen hat sie sich dieses Jahr bereits gesteigert. Bei rund acht Stunden Schwimmtraining pro Woche geht es in erster Linie um Kraftübungen im Wasser. Daran wird sie auch weiterhin arbeiten, so Steffen, damit ihr Traum vom Hawaiisieg wahr wird. Welche Wettkämpfe sie im nächsten Jahr bestreiten wird, steht noch nicht fest. Auch hier ist wieder Spontaneität à la Brett Sutton angesagt. Die einzigen beiden Dinge, die gesetzt sind, sind die Weltmeisterschaft auf Hawaii und ein zweiter großer Ironman. Alle anderen Wettkämpfe werden munter dazwischengeschoben. „Unser Konzept ist so, dass wir nicht auf einen Wettkampf hintrainieren. Stattdessen bestreiten wir Wettkämpfe, wenn wir fit sind.“ Bei zehn bis zwölf großen Rennen im Jahr kann man auf Steffens Fitness beeindruckende Rückschlüsse ziehen. Auch bei diesem Thema geht es um Flexibilität für die Athletin des Team TBB: So kann es vorkommen, dass Dienstags beschlossen wird, am Wochenende bei einer Mitteldistanz zu starten. „Dann wird ab Donnerstag das Training umgestellt. Aber an und für sich tapern wir gar nicht, weil wir sonst ja gar nicht genug trainieren könnten.“ Im Wettkampf scheint Xena fast übermenschlich fokussiert. Mit ihrem starr nach vorn gerichteten Blick wirkt sie teilweise wie abgehoben. Das Bild des Schweizer Uhrwerks kommt einem in den Sinn, wenn man Caroline beim Rennen zuschaut. Was geht eigentlich dann in ihrem Kopf vor? „Während des Rennens bin ich gedanklich unheimlich beschäftigt. Beim Radfahren konzentriere ich mich auf die perfekte Technik, die optimale Kraftübertragung, saubere Kurvenfahrten und auf die Ernährung. Da geht es vor allem um Kontrolle. Beim Laufen kommt dann noch das ‚Ich‘ dazu. Da habe ich das Gefühl, extrem engagiert zu sein.“

Auch nur ein Mensch
Die Schweizer Kämpferin ist unglaublich stark und hart zu sich selbst. Umso sympathischer, dass sie offen über ihre liebenswert menschliche Privatseite erzählt. So hat sie immer Fotos von ihrer Familie bei sich und einen kleinen Stoffhasen, der sie an die Heimat erinnert. Zu Weihnachten liebt sie das Keksebacken, hat es jedoch aufgrund der hohen Luftfeuchtigkeit in Australien aufgegeben („die Kekse wurden zu Brei“). Zu Weihnachten stellt sie sich einen Tannenbaum aus Plastik in ihre Wohnung. Sie schaut sich gerne Kinofilme an und liebt Bücher. Unter anderem verschlingt Steffen Bücher ihres Idols Fabian Cancellara. Der Schweizer Zeitfahrweltmeister ist ein Held für sie. Und als sie einmal im Trainingslager in Spanien im gleichen Hotel wie Cancellara war, putzte Steffen jeden Tag ihr Rad besonders gut, damit ihr Idol keinen schlechten Eindruck bekäme. Doch außer einem freundlichen Kopfnicken gab es keinen Kontakt. „Jeden Tag nahm ich mir vor, ihn anzusprechen. Doch ich habe mich nicht getraut“, schmunzelt Xena heute. Sie verfolgt den Männeradsport mit Interesse: „Eigentlich sollte man ja gar nicht mehr zuschauen, wegen der Dopingproblematik. Aber mich fasziniert der Männerradsport“, so die 34-Jährige, die im November ihre Auszeit in dem australischen Ort Mooloolaba genießt. Vier Wochen kein Training und das tun, was gut tut. Unter anderem viel schlafen (bis zu elf Stunden), gerne auch mal Pizza essen und Wein trinken. „Und natürlich nehme ich mir auch Zeit, die vielen E-Mails meiner Fans zu beantworten. Nach dem Rennen auf Hawaii habe ich rund 200 Nachrichten erhalten. Das hat mich sehr gefreut und aufgebaut.“ Somit schöpft Caroline Steffen neue Kraft für die nächste harte Saison voller spontan-brutaler Trainings und Wettkämpfe, an deren Ende für sie nur eines stehen darf: ein Sieg auf Hawaii.

8 Fragen – 8 Antworten
Wo liegen Deine persönlichen Stärken? Darin, Dinge, die ich nicht mag, auf den nächsten Tag zu verschieben.
Wo liegen Deine persönlichen Schwächen? Nein zu sagen.
Was macht Dich wütend? Gegenwind auf dem Rad, wenn ich schon so am Limit fahre und Hunger habe.
Was bringt Deine Augen zum Leuchten? Hausgemachter Schokoladenkuchen.
Was motiviert Dich? Emotionale Bilder von Athleten oder Sport am TV.
Worauf musst Du am meisten (bei der Ausübung Deines Berufes) verzichten? Auf meine Familie und Freunde in der Schweiz.
Wie (und in welchem Umfeld) entspannst Du Dich am besten (von Deinem Beruf)? Einen Film schauen oder ein Buch lesen, am liebsten in meinem Bett.
Wo siehst Du Dich in 10 Jahren? In Australien, Mutter und ein eigenes kleines Unternehmen im Bereich Sport.

12 Stichworte – 12 spontane Reaktionen
Leidenschaft: Mein Sport.
Begabung: Hat man einfach oder eben nicht.
Entscheidungen: Immer aus dem Bauch und nie mit Vernunft .
Respekt: Habe ich vor vielen Dingen im Leben.
Rivalität: Eine natürliche Sache in meinem Job.
Fairness: Ist selbstverständlich.
Intelligenz: Kann nie schaden.
Image: Hoffe, meines stimmt.
Angst: … habe ich vor kleinen Krabbeltieren mit langen Beinen.
Soziale Verantwortung: … ist das tägliche Leben.
Kona: Eine Hassliebe.
Früher war alles besser. … hat meine Oma immer gesagt.

Steckbrief: Caroline Steffen
Geburtstag: 18.09.1978
Verein: Team TBB
Trainer: Brett Sutton
Berufsausbildung: Bauzeichnerin
Homepage: www.steffencaroline.ch

Größte Erfolge
1. Platz Ironman Germany (2011, 2012)
1. Platz Ironman 70.3 Asia-Pacific Championship (2010)
1. Platz ITU-WM Langdistanz (2010, 2012),
1. Platz Ironman Melbourne (2012)
1. Platz Ironman Port Macquarie (2011)
weitere 1. Plätze u. a. in Rapperswil-Jona, Singapore, Philippines, Geelong, Aarhus, Heilbronn und Ko Samui
2. Platz Ironman Hawaii (2010, 2012)
2. Platz Abu Dhabi International Triathlon (2011)
2. Platz Ironman South Africa (2010)
3. Platz Abu Dhabi International Triathlon (2012)

Text: Dagmar Gard
Fotos: Klaus Arendt | Armin Schirmaier

Quelle: tritime (Ausgabe 1-2013)