Dr. Susann Kräftner:
Grenzerfahrungen mit Happy End

Es ist klein, ein wenig schelmisch und irgendwie auch ein bisschen teuflisch: das Biestmilch-Mar-kenzeichen, was wohl jedem aktiven Triathleten schon einmal begegnet ist. Ob auf der Verpackung des „etwas anderen“ Nahrungsergänzungsmittels oder als Body-Tattoo bei den Stars der Triathlon-szene wie zum Beispiel Chris McCormack oder Yvonne van Vlerken. Um zu erfahren, wer hinter diesem teuflischen kleinen Kerl und der Marke Biestmilch steckt, muss man sich auf Grenzer-fahrungen gefasst machen. Denn Biestmilch-Gründerin Dr. Susann Kräftner ist ein Mensch der Gegensätze und der Extreme.

Schon um mit Dr. Kräftner einen Termin zu vereinbaren, braucht es viel Geduld, denn die 54-Jährige scheint dauernd beschäftigt. Und tatsächlich: Die Annahme, dass es sich bei der Biestmilch-Chefin um einen Menschen handelt, der ständig arbeitet, Kontakte knüpft und unterwegs ist, wird auch beim Interviewtermin bestätigt. Dennoch, und das ist wohl nur eines der vielen kleinen sympathischen Dinge, die sie auszeichnet: Hat man einmal einen Termin bekommen (oder sagen wir lieber erhascht), so nimmt sie sich die Zeit, die es braucht, um das Produkt Biestmilch und die Geschichte dahinter zumindest in Ansätzen zu erklären. „Biestmilch – das ist im Prinzip das Gesamtergebnis meines bisherigen Lebens“, steigt die Österreicherin in das Gespräch ein. „Ich musste erst alle diese Dinge erleben, alle meine experiences machen, um dieses Produkt wertzuschätzen und zu vermarkten“. Und Erfahrungen, die hat sie gemacht. Viele waren es. Und auch nicht immer gute.

Von Vorarlberg in die Welt
Es klingt beinahe unglaublich, was die drahtige Powerfrau mit der charmanten Mischung aus reinem Hochdeutsch, österreichischem Akzent, untermalt mit vielen englischen Worten, alles erlebt hat. Ihr Leben – es könnte locker in einem Hollywood-Drehbuch stehen. Alles begann vor rund 54 Jahren im kleinen Dörfchen Hard in Vorarlberg, wo Susann zwischen Bodensee und Alpen aufwächst. Das sportliche blonde Mädchen hatte schon damals einen sehr eigenen Willen und wusste bereits im Kindergartenalter, was sie wollte beziehungsweise was nicht. Und das dörflich-ländliche Vorarlberg passte so gar nicht zu ihrer Vorstellung vom Leben. Die Kosmopolitin liebt es international, offen, frei und spannend. So zog sie nach der Matura als 18-Jährige nach Wien. Ihr Wunsch war klar. „Ich wollte immer zum Theater oder zum Film.“ Doch statt eine Schauspielausbildung zu machen<, studierte sie Medizin. Das Theater und das kulturelle Leben der Stadt Wien nahm dennoch die größte Rolle in ihrer Studentenzeit ein. Sie war in der Szene des sagenumwobenen Burgtheaters verankert und dort „irgendwie so da“. Und doch wusste keiner, was sie genau machte. „Ich habe das geliebt“, sagt sie mit leidenschaftlicher Stimme, während sie berichtet, wie sie auf der Suche nach der eigenen Identität war und nur die Pflichtvorlesungen des Medizinstudiums besuchte. Dafür schnupperte sie in die Vorlesungen Soziologie und Philosophie. Schon immer war Susann vom Hinterfragen und Philosophieren fasziniert. „Das Medizinstudium bedeutete mir nichts. Es war nur eine Entschuldigung für mein Schauspiel-Leben.“

Was ist normal und was ist Wahnsinn?
Nach dem erfolgreich abgeschlossenen Medizin-Studium und einem Berufsabstecher nach Bregenz – wo es ihr selbstredend zu eng war – war die promovierte Ärztin unter anderem zwei Jahre im Bereich Psychiatrie in Wien tätig. „Das war spannend, denn hier ging es um Grenzfälle: Was ist normal und was ist Wahnsinn?“, schwärmt sie noch heute mit funkelnden Augen. Und an dieser Stelle wird klar, warum es sie – wenn auch sehr viel später – zum Triathlon gezogen hat: „Ich habe einen Hang zu Personen, die an der Grenze leben.“ Nach einem Engagement in der Intensiv-Chirurgie verschlug es sie über Umwege in den Libanon. Hier begann sie 1984 als Ärztin in einem Flüchtlingslager zu arbeiten. Doch ihr Wunsch, ständig zu optimieren und nie stehen zu bleiben, führte sie wiederum nach 24 Monaten in die österreichische Hauptstadt zurück.

Die härteste Zeit ihres Lebens
Von Triathlon, geschweige denn von Biestmilch war zu diesem Zeitpunkt noch keine Rede. „Dann kam die wohl grässlichste Zeit meines Lebens“, beschreibt sie sehr offen ihre härtesten Jahre. Durch ihre Ehe mit einem Dänen, der ins Ölgeschäft einsteigen wollte, geriet sie in einen Strudel dramatischer Ereignisse, die sich am Persischen Golf abspielten. In Kurzform könnte man diesen Lebensabschnitt etwa so schildern: Ihr Mann, mit dem sie übrigens nur zwei Jahre zusammen war, flog nach Dubai, um Öl-Geschäfte zu machen. Sie reiste ihm hinterher. Doch er war zu diesem Zeitpunkt schon nicht mehr da. Susann fand sich in einer korrupten, dubiosen Männerwelt aus Öl, Geld und „ominösen Deals“ wieder. Sie wurde überwacht. Ihr Telefon wurde abgehört. Sie war verzweifelt. Außerdem wäre sie beinahe bei einem schweren Verkehrsunfall ums Leben gekommen und stand mit einem Bein im arabischen Frauengefängnis … Die bisweilen fast unglaubliche Geschichte in voller Länge und mit all ihrer Dramatik zu schildern, würde mehrere Seiten dauern. Fest steht: Diese Zeit prägte Susann wie kaum eine andere. Fest steht auch: Irgendwie ging die Sache gut aus und Dr. Kräftner fand sich – mal wieder – in Wien wieder. Arbeitslos und ziemlich verschuldet.

Die Initialzündung
Das Bild des „Steh-auf-Männchens“ drängt sich auf, wenn man hört, wie Susann erneut mit voller Kraft und viel Mut in ein neues Leben aufbrach: Nach einigen Jahren in der deutschen Pharmaindustrie machte sie sich 1993 selbstständig. Im Bereich Journalismus und Konzeption fasste sie Fuß, wo sie auch innerhalb einzelner Projekte die geliebte Kunst mit der Wissenschaft vereinen konnte. Dann, 1995, hatte sie zusammen mit ihrem Bruder Bernd das Schlüsselerlebnis, welches das Fundament für Biestmilch sein sollte: In Jerusalem besuchte sie den Immunologen Irun R. Cohen und lernte den Humanbiologen und Philosophen Henri Atlan kennen. In den Gesprächen mit ihnen „ist eine andere Welt für mich aufgegangen“. Durch diese ganzheitliche, neue Sichtweise der „Naturwissenschaft an der Grenze“ wusste sie endlich, wo sie hin wollte. Und sie spürte, dass die Kolostralmilch von Säugetieren, die sie schon früher kennengelernt hatte, eine Rolle spielen würde: Die „Biestmilch“. „Biestmilch ist die machtvollste Substanz, die ich je im Leben gesehen habe. So harmlos und so powerful“, beschwört Dr. Susann Kräftner. Der Glaube an die Magie des Produktes war es dann wohl auch, der sie zu dem Schritt bewog, sich im Jahr 2000 mit der Biestmilch selbstständig zu machen. Mit im Boot waren und sind ihr Freund Dr. Arne Schumacher und ihr Bruder Dr. Bernd Kräftner. „Wir fingen bei null an. Selbst den Namen mussten wir kreieren. Übrigens rieten uns die Marketingstrategen von dem Namen Biestmilch ab. Zum Glück haben wir nicht auf sie gehört.“ Selbstkritisch fügt sie hinzu: „Von Beginn an war es unser Ziel, eine echte Marke zu kreieren. Ein langwieriger Prozess, den wir wohl unterschätzt hatten. Die Entwicklungszeiten, die die Produktpositionierung und Vertrauensbildung für eine so völlig unbekannte Substanz benötigen, hatten wir drei außer acht gelassen. Wir wussten damals nicht, was es bedeutet, Pionierarbeit zu leisten. Schmerzvoll mussten wir es erfahren … und haben dabei unglaublich viel gelernt.“ Jeden Cent hat das Trio investiert, um das Unternehmen Biestmilch zum Erfolg zu bringen … und sie tun es heute.

Irrsinnige Nähe zu „ihren“ Athleten
Als Erstes richtete sich die junge Firma an Heilpraktiker und naturheilkundlich engagierte Ärzte. „Schließlich wird die Erstmilch der Kühe schon seit Jahren zur Stärkung des Immunsystems eingesetzt.“ Ein Jahr später entdeckten sie die Marathon-Läufer als Zielgruppe. Und dann kam der denkwürdige Tag in Roth, wo die Biestmilch-Macher „nur so zum Spaß“ ein Autogramm von Lothar Leder holten. „Er hatte von der Biestmilch schon gehört und schlug sofort vor, daraus etwas gemeinsam zu machen“, erzählt Dr. Kräftner. Das war der Ursprung des Triathlon-Engagements und zudem der Beginn einer innigen Freundschaft zu Familie Leder. Freundschaft und menschliche Nähe haben bei der Auswahl ihrer Athleten auch heute noch oberste Priorität. Und, ganz typisch, sie setzt nicht auf Masse, sondern auf Klasse und Charakter. Die Biestmilch-Athleten kann man an einer Hand abzählen: Nicole Leder, Yvonne van Vlerken, Ronnie Schildknecht, Sebastian Kienle, Meike Krebs und natürlich Chris McCormack. „Chris“ ist der Biestmilch-Chefin besonders ans Herz gewachsen. Die beiden liegen auf einer Wellenlänge und man kann das Verhältnis von ihr zum ITU- und Ironman-Weltmeister als fast mütterlich beschreiben. „Ich habe eine irrsinnige Nähe zu meinen Athleten, allen voran Chris. Wir ticken gleich und geben uns gegenseitig sehr viel.“ Diese symbiotische Beziehung, soviel steht fest, wird auch nach der aktiven Karriere von Macca fortgesetzt. „Wir planen eine gemeinsame Zukunft“, verrät Susann verheißungsvoll und schwärmt von McCormacks „anderer Art des Trainings und der ganzheitlichen Sichtweise“, die den Weltklasse-Athleten auszeichnet.

Teamplayer
„Klasse hat aber auch mein engstes Team, sei es Elisabeth Kopf, eine Grafikerin von Weltformat, Harry Glatz, Webprogrammierer und innovativer Wegbegleiter über 10 Jahre oder Leopold Maurer, Komikzeichner, der meine Ideen in Sekundenschnelle umsetzen kann, und „last not least“ Fritz Oelberg an der Filmfront,“ sagt Susann mit Stolz, denn sie ist trotz individueller Eigenart ein Teamplayer. Eine, die ihr Team liebt.

Auch wenn Dr. Susann Kräftner mit der Biestmilch alles andere als reich geworden ist, so merkt man, dass sie mit dem Produkt und ihrer kleinen Firma eine Art Heimat und Ruhepol gefunden hat. Und sogar ihr Traum vom Film ist irgendwie wahr geworden. Denn seit rund zwei Jahren ist sie Regisseurin, Drehbuchautorin und Kamerafrau in einem. Dabei arbeitet Dr. Kräftner eng mit ihrem DOP (Director of Photography) Fritz Oelberg zusammen, einem ausgemachten Profi auf diesem Gebiet.  Sie filmt „ihre“ Athleten, schneidet die Filme, hinterlegt Musik und stellt die Clips ins Netz. So hat es die nimmermüde, energiegeladene Frau auf ihre eigene Art geschafft, Medizin, Wissenschaft und Film zu vereinen.

Text: Dagmar Gard (tritime | Leidenschaft verbindet, Ausgabe 3|2010)
Fotos: Dagmar Gard und Klaus Arendt