Diagnose Übertrainingssyndrom

Wie erkennt man Übertraining als SportlerWie erkennt man, ob man im Übertraining ist und bei welchen Symptomen sollte man hellhörig werden? Wir haben mit Dr. med. Kurt Johannes Schmieg gesprochen.

 

Der Bewegungsmangel, einer der wichtigsten Risikofaktoren für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, führt sicherlich nicht dazu, dass Triathleten – abgesehen vom jährlich empfohlenen sportmedizinischen Check-up – beim Arzt ihres Vertrauens vorstellig werden. Sobald jedoch das Training unter den Folgen eines Infektes und Verletzungen des Bewegungsapparates leidet, werden sie nervös und vereinbaren einen Termin in der Facharztpraxis. Aber wie soll sich ein Ausdauersportler verhalten, wenn sein Körper „gar nicht mehr will“? Wir unterhielten uns hierüber mit dem in Freiburg ansässigen Facharzt für Innere Medizin, Kardiologie und Sportmedizin, Dr. med. Kurt Johannes Schmieg.

Herr Dr. Schmieg, wenn im Training über einen längeren Zeitraum gar nichts mehr geht und bereits bei geringsten Intensitäten akute Erschöpfungserscheinungen auftreten, denken Sie da direkt schon an ein Übertrainingssyndrom?
Sicherlich nicht, denn zuvor sollten andere mögliche Ursachen für diese Symptomatik ausgeschlossen werden. Dazu zählen in erster Linie chronische Infekte im Zahn-Mund- Kiefer- und Nebenhöhlenbereich, Borrelien-Infekte und das Pfeiffersche Drüsenfieber. Eventuell kann aber auch lediglich eine verschleppte Grippe die Ursache sein. Außerdem sollte der behandelnde Arzt Stoffwechsel- und hormonelle Erkrankungen in Betracht ziehen. All das gelingt häufig erst nach einer umfangreichen Diagnostik.

Und bei welchen Symptomen werden Sie im Rahmen der Anamnese hellhörig?
Wenn Ausdauersportler über das Gefühl der schweren Beine klagen, ist das sicherlich zunächst kein Grund zur Sorge, treten diese Symptome jedoch regelmäßig bereits bei ungewöhnlich niedrigen Belastungsintensitäten nicht nur im Training, sondern auch bei Alltagsbelastungen auf, ist Vorsicht geboten. Weitere Hinweise sind chronische Müdigkeit, Schlafstörungen sowie Motivationsmangel. Im Alltag kann sich dies in Form einer Art von depressiver Grundstimmung bemerkbar machen, was eine Differenzierung zur klassischen Depression schwierig macht.

Wie häufig begegnet Ihnen das Übertrainingssyndrom in der täglichen Sprechstunde?
Das Übertrainingssyndrom (ÜTS) stellt eine Ausschlussdiagnose dar. Genau genommen, ist zwischen einem chronischen und akuten ÜTS zu unterscheiden. Dies spielt auch bei der Diagnostik eine Rolle. Die chronische Variante ist das eigentliche Übertrainingssyndrom. Man spricht davon, wenn trotz Regeneration ein über mindestens zwei Wochen anhaltender Leistungsabfall ohne nachweisbare organisch krankhafte Ursache festgestellt wird. Das dürfte beim Vorliegen dieser Symptome in maximal zehn Prozent der Fälle zutreffen und ist somit auch, genau genommen, eine relativ seltene Angelegenheit.

Helfen im Rahmen der Diagnose gezielte Laboruntersuchungen?
Leider nein, es ist nicht wie beim Herzinfarkt, dass definierte Laborwerte beziehungsweise dessen Veränderungen eine Erkrankung beweisen oder auch ausschließen. Die Bestimmung von Blutparametern unter Ruhebedingungen lässt die Diagnose eines Übertrainingssyndroms nicht zu. Die Bedeutung der Bestimmung von Substraten (Harnstoff und Ammoniak) und Enzymen (beispielsweise Kreatinkinase-Aktivität) in Ruhe zur Erfassung eines chronischen ÜTS wird überschätzt. Auch die Blutkonzentrationen in Ruhe von freiem Testosteron und Kortisol sowie von Katecholaminen im Urin zeigen bei übertrainierten Sportlern meist keine Veränderungen.

Welche weiteren Möglichkeiten existieren, ein ÜTS zu diagnostizieren?
Es gibt standardisierte Fragebögen wie das Profile of Mood State (POMS), das sich in mehreren Studien als das empfindlichste Kriterium zur Diagnostik gezeigt hat.

Kann auch eine differenzierte kardiologische Untersuchung Licht ins Dunkel bringen?
Hierzu antworte ich mit einem klaren Jein! Die Herzfrequenz ist im Zustand eines chronischen Übertrainings in Ruhe meist unverändert. Hinsichtlich der ergometrischen Leistungsfähigkeit ist zumindest bei übertrainierten Ausdauersportlern eine Beeinträchtigung der Schnelligkeit- beziehungsweise Kurzzeitausdauer nachweisbar, die mit einer reduzierten maximalen Blutlaktatkonzentration einhergeht. Eindeutig ist: Wenn die maximale Herzfrequenz, das maximale Laktat und die maximale Leistung nicht mehr erreicht werden, spricht das für ein Übertraining. Ob mithilfe der Messung der Herzfrequenzvariabilität tatsächlich Überlastungszustände erkannt werden können, ist derzeit wissenschaftlich nicht belegt.

Welche Folgen können auftreten, wenn ein Sportler ein Übertrainingssyndrom ignoriert?
Nachweislich geht die Testosteronproduktion zurück. Dadurch kommt es zu einem Muskelabbau, muskuläre Verletzungen sowie Schäden an Sehnen und Ligamenten häufen sich. Durch die Schwächung des Immunsystems entstehen leichter Infekte, und auch Allergien werden häufiger beobachtet. Beachtet man die Symptome und Zeichen seines Körpers nicht oder viel zu spät, können Depressionen die Lebensqualität weiter einschränken.

Wie kann ein Sportler einem Überlastungsssyndrom vorbeugen?
In erster Linie ist auf die Körpersignale zu achten. Das akute Überlastungssyndrom tritt häufig in Form der „Symptomen-Trias“ Leistungsabfall, verminderte Belastbarkeit und schnelle Ermüdung auf. Hier können auch zur differenzierten Beurteilung veränderte Laborwerte, wie Harnstoff oder Kreatinkinase, hilfreich sein, deren Anstieg unter der Voraussetzung standardisierter Bedingungen und individueller Vergleichswerte verwertbar sein kann. Somit könnte das Training rechtzeitig richtig dosiert werden. Dies ist sicherlich die effektivste Therapie.

Welche Therapie empfehlen Sie bei einem manifesten Übertrainingssyndrom?
Ich empfehle keine spezifische Therapie mit Medikamenten oder Nahrungsergänzungspräparaten. Zu einer Behandlung mit Antidepressiva kann nur in Einzelfällen und in enger Absprache mit dem behandelnden Arzt geraten werden. Die einzig wirksame Therapie ist die Ausschaltung der Ursachen: Reduzierung der Trainingsintensitäten und -umfänge, bis hin zu einer längeren Trainingspause.

Müssen Betroffene ganz auf ihren geliebten Sport verzichten?
Zunächst sind nur regenerative Trainingseinheiten möglich. Um eine bisher vorhandene Trainingsmonotonie zu durchbrechen, empfehle ich einen zwischenzeitlichen Wechsel zu anderen Sportarten, jedoch ohne leistungssportliche Ziele.

Wie lange dauert es bis zur vollständigen Wiederherstellung der körperlichen Leistungsfähigkeit?
Da sind generelle Prognosen schwierig. Im Einzelfall kann es mehrere Monate dauern.

Dr. Schmieg, herzlichen Dank für das Gespräch.

 

Interview: Klaus Arendt
Foto: privat