Training: Fokus, Ausrichtung, Stabilität und Timing

Um die Wahrnehmungen der Körpersinne produktiv umzusetzen, empfiehlt Roy Hinnen vor und während des Trainings vier kurze Bestandsaufnahmen zu durchlaufen: Fokus, Ausrichtung, Stabilität und Timing.

 

Diese stellen innerhalb weniger Minuten oder sogar Sekunden den Kontakt zwischen Kopf und Körper her, aktivieren das innere mentale und körperliche Potenzial und legen so die Basis für ein gutes Training.

Fast alle Trainingspläne im Ausdauersport berücksichtigen nicht nur eine Periodisierung in Mikro- und Makro-Zyklen, sondern auch eine ausgeklügelte Abfolge von sportartspezifischen Einheiten, Koppeltraining, Atemmangeltraining, Krafttraining, Trainingslagern, eventuell auch Höhentrainingsmethoden und Übungen zur Verbesserung der Aerodynamik. Wie gut es dem Athleten in Zusammenarbeit mit seinem Trainer gelingt, alle Bereiche – auch unter Berücksichtigung von ausreichender Regeneration und sinnvollem Tapering – optimal miteinander zu verknüpfen, entscheidet letztendlich darüber, ob Sie tatsächlich auch schneller werden. Was jedoch viele Athleten nur zu gerne vergessen, ist die Aufmerksamkeit für das Detail sowie die innere Achtsamkeit und die Sensibilität für ihre einzelnen Trainingseinheiten. An das große Ziel und das bestmögliche Ergebnis denken alle, viele jedoch arbeiten den Trainingsplan einfach nur ab, sie stumpfen beim täglichen Sport geradezu ab und nutzen die Möglichkeiten jeder Einheit nur suboptimal. Ein 45-minütiger Dauerlauf in der Mittagspause ist definitiv kein Grundlagentraining, wenn Sie davon 40 Minuten an die vergangene Besprechung denken müssen.

Denken Sie daran: Jedes Training ist ein kleines Puzzleteilchen auf dem Weg zu Ihrem sportlichen Ziel. Schärfen Sie aus diesem Grund zu Beginn einer jeden Einheit die Wahrnehmung Ihres Körpers. Das dauert nur ein paar Minuten und sorgt dafür, dass Sie das Beste aus Ihrem Training herausholen, anstatt es wie ein Roboter abzuarbeiten.

Fokus
Die Antworten der nachfolgenden vier einfachen Fragen, die Sie sich auch mehrfach während eines Trainings stellen können, spiegeln Ihr momentanes Körpergefühl wider, halten Sie davon ab, über Dinge nachzugrübeln, die Sie im Moment sowieso nicht ändern können, sodass Sie fokussiert die bevorstehende Einheit aufnehmen können:

  • Wie war das letzte Training, und mit welcher Einstellung und Motivation nehme ich heute das Training auf?
  • Was ist das Ziel der heutigen Einheit?
  • Wie passt dieses Training in meine Woche?
  • Wie regeneriere ich mich danach?

 

Ausrichtung
Kleine Übungen helfen, sich mental und konzentriert auf die bevorstehende Trainingseinheit einzustimmen, beziehungsweise diese technisch sauber anzugehen.

Schwimmen

  • Lassen Sie die Arme möglichst lange vorne liegen – Sie können die Füße auch auf den Beckenrand legen –, halten Sie die Körperspannung und atmen Sie tief aus.
  • Koordinieren Sie den Beinschlag mit dem Armzug und stellen Sie so eine Verbindung zwischen Ober- und Unterkörper her.
  • Fühlen Sie, wie das Wasser Sie trägt, und lassen Sie sich ganz auf das Training ein: Gehen Sie es ruhig an, und starten Sie nicht mit hektischen Übungen!

Radfahren

  • Materialcheck: Bremsen, Helm, Schaltung, Trinkflasche und Reifendruck.
  • Bevor Sie sich ruhig und ohne Hektik auf das Rad setzen, stretchen Sie Nacken, Schultern, Rücken, Oberschenkel, Waden, Hände und Füße kurz durch.

Laufen

  • Achten Sie beim Einlaufen auf kurze Schritte, koordinieren Sie dabei den Atemrhythmus mit dem Schrittrhythmus, indem Sie beispielsweise bei einer Bodenberührung einatmen und bei zwei Bodenberührungen ausatmen. Spannen Sie Arme und Schultern kurz und intensiv an, dann entspannen Sie diese und halte sie locker. Führen Sie mit der Armbewegung die Bewegung der Knie. Verbinden Sie so den Oberkörper mit den Beinen.
  • Fallen Ihnen die ersten Meter so richtig schwer, richten Sie ihre Körperhaltung auf und blicken Sie nach vorne statt nach unten auf den Boden. Richten Sie sich auch innerlich auf, und lassen Sie sich voll auf das bevorstehende Training ein.

Stabilität
Beginnen Sie jede Lauf- und Radeinheit in den ersten zehn Minuten mit einem festgelegten Tempo oder Wattwert. Achten Sie darauf, wie sich diese Intensität anfühlt und wie Körper und Herzfrequenz darauf reagieren. Im Laufe der Zeit erhalten Sie auf der Basis der erhobenen Pulswerte einen Durchschnittswert. Und so zeigt Ihnen bereits nach zehn Minuten Training der aktuelle Pulswert an, wie leistungsbereit Sie heute sind. Liegt der Wert im Mittel, können Sie das geplante Training durchziehen, weicht er nach oben oder unten ab, sollten Sie Ihr Training entsprechend anpassen.

Timing
Es gibt Athleten, die in jeder Situation erkennen, was für sie gerade das Richtige ist. Ihnen gelingt scheinbar alles, was sie machen, weil Sie die Zeichen der Zeit richtig deuten und nicht starr an Vorgaben festhalten, die unter den jeweiligen Bedingungen zum Scheitern verurteilt sind. Gutes Timing ist also ein wichtiger Erfolgsfaktor und steht für die zeitliche Abstimmung zwischen Ihnen und dem Trainingsort. Es geht darum, die geplante Einheit richtig umzusetzen, und das auch dann, wenn Sie beim Einlaufen beschlossen haben, nur locker zu joggen. Wenn also ein lockerer Dauerlauf angesagt ist, dann versuchen Sie auch die ganze Zeit, locker zu sein: Lächeln Sie, beobachten Sie die Natur und Tierwelt und haben Sie bitte kein schlechtes Gefühl, langsam zu sein und überholt zu werden. Und wenn Intervalle angesagt sind, dann laufen Sie auch hart, ohne dabei an einen lockeren Dauerlauf zu denken.

Fazit
Die innere Achtsamkeit lehrt Sie, die Signale des Körpers und des Geistes durch das Zusammenfügen von scheinbar unwichtigen Details zu einem wichtigen Ganzen optimal zu nutzen. Es macht Sie nicht nur eigenständiger, sondern Sie gewöhnen sich auch daran, auf kleine Details zu achten, die im Wettkampf den Unterschied ausmachen zwischen Erfolg und Misserfolg.

Text: Roy Hinnen
Foto: Mirko Lehnen | mirko-lehnen.com

Roy Hinnen ist fünffacher Schweizer Meister im Triathlon. Seine 30-jährige Erfahrung im Ausdauersport setzt der 50-Jährige gezielt ein, um seine Athleten individuell nach dem Motto „Fit sein ist gut, schneller werden etwas ganz anderes!“ zu coachen.