Achterbahnfahrt der Gefühle und die Entdeckung der Langsamkeit

Karsten Pfeifer_PfelgerollstuhlDrei Monate sind seit Karsten Pfeifers unverschuldeter Radkollision mit einem PKW während des 1/2 Iron Triathlon Austria und der dabei erlittenen Querschnittlähmung vergangen. Der 43-jährige Triathlet berichtet vom Krankenlager.

 

Gerne würde ich hier stolz berichten, meinem Plan A – irgendwann wieder gehen zu können – schon ein Stück näher gekommen zu sei. Die Realität sieht allerdings anders aus. Ich bin weiterhin von der Brust abwärts gelähmt und kann keinen einzigen Muskel in diesem großen Bereich meines Körpers ansteuern oder etwas fühlen. Das schließt auch die wichtigen Muskeln der Ausscheidungsorgane Blase und Darm mit ein. Der komplizierte Schlüsselbeinbruch und die offene Wundstelle am Steiss, hervorgerufen durch falsche Lagerung auf der Intensivstation, sind noch immer nicht ausgeheilt. Das bremst die physiotherapeutische Arbeit sehr stark ein. Daher bin ich weiterhin in vielen Bereichen auf Hilfe des Krankenhauspersonals angewiesen. Aus all den genannten Gründen waren die vergangenen drei Monate mental schwierig für mich.

Der Kreiselkönig der Station
Das lange Liegen in der Anfangsphase und das durch die Lähmung beeinträchtigte Kreislaufsystem von Sympathikus und Parasympathikus machten mir in den ersten acht Karsten Pfeifer_RollstuhlWochen sehr zu schaffen. Kaum wurde ich in eine sitzende Position gebracht versackte das Blut in den Beinen und mir wurde schwarz vor Augen. Mit diesem Effekt haben alle frisch Verletzten zu kämpfen. Sehr deutlich wird es, wenn die Temperaturen weit über 20° ansteigen. Dann gehen in den Räumen der Physiotherapie die Eiswürfelbeutel weg wie warme Semmeln. Von Woche zu Woche merke ich aber, dass sich mein Kreislauf langsam stabilisiert.

An Kleinigkeiten mental aufrichten
Wie schwer meine Rückenmarksverletzung ist, begreife ich erst allmählich. Ich werde mich auf ein Leben im Rollstuhl einrichten müssen. Bis ich dafür gewappnet bin, ist es aber noch ein langer Weg. Wie es jedem frisch Verletzten geraten wird, versuche ich die kleinsten Fortschritte zu würdigen und mich nicht mit anderen Patienten zu vergleichen, um den Kopf weiter aufrecht halten und lachen zu können. Das sind so banale Dinge wie im Sitzen mit dem Oberkörper nicht sofort umzukippen, den Pflegerollstuhl gegen einen Aktivrollstuhl einzutauschen, den Dauerkatheter durch Selbstkatheterisierung abzulösen oder erstmals am Rollstuhlfahrtraining für Anfänger teilzunehmen. Diese Mentalstrategie ist nicht an jedem Tag erfolgreich, aber an den meisten.

Der Kampf gegen die Inkontinenz
Niemand redet gerne darüber, aber auch dieses Thema gehört zum Alltag eines Querschnittverletzten. Klingt der Spinale Schock ab, fängt bei fast allen Verletzten der Schließmuskel der Blase entweder an spastisch zu werden, d.h. sich unkontrolliert zusammen zu ziehen und zu lockern oder gänzlich schlaff zu bleiben. Beides verursacht Inkontinenz, was noch viel schlimmer ist als nicht mehr gehen zu können. Bei meiner Lähmungshöhe ist ein spastischer Schließmuskel typisch. Dem begegnet man entweder mit täglicher Medikamenteneinnahme oder mit einer jährlichen Botoxinjektion. Da ich das erste Medikament nicht vertragen habe ist noch nicht klar, welchen Weg wir für mich einschlagen müssen, um kontinent zu bleiben.

Brasilianische Verhältnisse im Sandbett
Der Zustand der offenen Wundstelle macht es derzeit erforderlich, absolute Bettruhe in einem sogenannten Sandbett einzuhalten. Eine weitere mentale Herausforderung. Ein permanent erzeugter aufsteigender Luftstrom von 33 bis 37° sorgt innerhalb des wanneartigen Bettes für das Aufwirbeln von Sandkristallen unter dem Laken, auf dem ich fast schwerelos mit minimiertem Auflagedruck auf dem Rücken liege. In diesem 800 kg schweren Monstrum muss ich so lange verweilen bis die Wunde abgeheilt ist. Wie lange das sein wird, kann mir heute keiner sagen. So kann ich aber hoffentlich einer Operation entgehen, die mich sehr lange zurückwerfen würde.

Zeitliche Perspektive
Aus Gesprächen mit anderen Querschnittgelähmten weiß ich, dass es ein Jahr oder länger dauern kann, bis Kopf und Körper sich an die neue Situation gewöhnt haben und man sich den Alltag optimal eingerichtet hat. Für mich ist aber erst einmal die oberste Priorität, dass die Wunde verheilt und das Schlüsselbein wieder belastet werden darf. Ich habe mir zum Ziel gesetzt, ab diesem Zeitpunkt in spätestens drei Monaten so fit zu sein, dass ich aus dem Krankenhaus entlassen werden kann.

Spendenlauf für Karsten
Karstens Vereinskollegen vom ALZ Sigmaringen organisieren am 22. Oktober 2016 in Sigmaringen einen Spendenlauf für den 43-Jährigen. Es wäre toll, wenn viele Sportler daran teilnehmen, um Karsten zu zeigen, „Du bist nicht alleine!“
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Keep on burning, lieber Karsten!

Text: Karsten Pfeifer
Fotos: privat