Vom Umgehen mit nicht erreichten Zielen

KD4_0988Habe ich in dieser Saison meine sportlichen Ziele erreicht? Wenn nicht, wie gehe ich damit um? Wie kann ich ein Scheitern analysieren und wie stecke ich mir neue Ziele? Dieser Artikel hält einige Tipps parat, wie man mit Mißerfolgen lernt umzugehen.

Kailua-Kona, 8. Oktober 2011: Craig Alexander setzt sich bei den Ironman-Weltmeisterschaften auf Hawaii zum dritten Mal die Krone des Siegers auf. Was sich so leicht ausspricht, sieht in der Umsetzung schon schwieriger aus, insbesondere wenn man sich den zeitlichen Ablauf seiner Siege anschaut. Nach Alexanders ersten beiden Erfolgen 2008 und 2009 wurde er im darauffolgenden Jahr nicht nur in Insiderkreisen als der sichere Gewinner gehandelt. Es kam anders: Das Rennen blieb zwar in australischer Hand, den Lorbeerkranz setzte sich aber ein anderer auf. Ein Jahr später kehrte Craig Alexander – nach einer vermeintlichen Niederlage – mit neuer Stärke (auf dem Rad) zurück.

Alexander hat hier eine Möglichkeit – im Sport zweifellos die Reaktion mit dem 2011_Craig-Alexander-2011_DP1G2765gewünschten Ergebnis – gezeigt, wie man mit Niederlagen oder nicht erreichten Zielen umgehen kann: Er analysierte den Grund für sein Scheitern, arbeitete an seiner Schwäche und legte so den Grundstein für seinen Erfolg. Jetzt nach einem Großteil der Saison fragen sich auch viele Athleten: Habe ich mein sportliches Ziel erreicht?

Es gibt drei Möglichkeiten, wie man mit Misserfolgen umgehen kann:
1. Die im Sport angestrebte Variante ist die vom Meister Craig Alexander:
 Analysieren, verbessern, zurückkommen und das gesetzte Ziel erreichen. Frei nach dem Motto „Krone zurechtrücken und weitermachen“.
2. Es ist aber auch das genaue Gegenteil möglich: 
komplette Verzweiflung mit einer nachfolgenden Orientierungslosigkeit und Aufgabe.
3. Die dritte Variante liegt genau dazwischen:
 Misserfolg realisieren, aber unverändert weitermachen.

Natürlich wünschen sich alle, dass sie nach der ersten Variante handeln. Diejenigen unter Ihnen, die jetzt auf eine Anleitung hoffen, wie Sie sich in den Craig-Alexander-Typus verwandeln können, müssen wir leider enttäuschen. Die Eigenschaft, wie man mit Niederlagen umgeht, nennt man Resilienz, die durch die individuellen Charaktereigenschaften bestimmt wird. Und diese werden bereits lange vorher festgelegt. Und zwar durch soziale Faktoren, die wir oftmals nur schlecht mitbestimmen können wie beispielsweise das Elternhaus, sozialer Status, Bildung, Intelligenz und Vorerfahrungen. Die gute Nachricht dabei ist: Auch gewohnte Verhaltensmuster lassen sich ändern, quasi umtrainieren. Dass ein erfolgreiches Training aber nicht einmalig über Nacht absolviert werden kann, versteht sich von selbst. Aber wie lassen sich eingefahrene Verhaltensmuster ändern?

Welche Prozesse leiten uns?
Zunächst müssen Sie sich bewusst werden, welche Prozesse Sie leiten. Allein das Bewusstsein dafür, dass die soeben aufgeführten drei Handlungsmuster existieren, kann schon dazu führen, dass das bisherige Verhalten überdacht und vielleicht geändert wird. So könnte das Lesen dieses Artikels bereits zu einer Verhaltensänderung führen. Und dies umso mehr, je öfter Sie dies ins Bewusstsein rufen.

Welche Ressourcen stehen zur Verfügung?
Darüber hinaus müssen Sie erkunden, welche Ressourcen vorhanden sind. In unserem leistungssportlich orientierten Fall bedeutet dies, welche Mittel (finanziell und Freizeit) dem Athleten zur Umsetzung seines Zieles zur Verfügung stehen. Diese Ressourcen können sich auch im Laufe des Lebens ändern. Als Altersklassenathlet verfügt man normalerweise über andere Möglichkeiten als ein Profi beziehungsweise als Athlet in der Hauptklasse (als Altersklasse ist hier wirklich das „Alter“ gemeint).

Welches Ziel wurde definiert?
Daneben gilt zu klären, wie Sie Ihr Ziel definiert haben. War es ein Ziel, das Sie sich selbst gesteckt haben, wie zum Beispiel das Erzielen einer bestimmten Platzierung oder Zeit bei einem Rennen? Oder wurde Ihnen das Ziel von außen vorgegeben, waren Sie etwa fremdbestimmt? „In dem Rennen XY holst du die Quali oder dort musst du den Sprung in die Spitze schaffen.“ Auch das Ziel „Ich zeig es euch allen“ hat einen stark fremdbestimmten Charakter. Spontan kommt da ein Zitat vom Triathlonurgestein Dirk Aschmoneit zum Tragen: „Dieser Sport ist zu hart, um anderen einen Gefallen zu tun.“ Erwiesen ist, dass hauptsächlich Ziele, die selbstbestimmt (intrinsisch) sind, leichter erreicht werden können. Fremdbestimmte, also sogenannte extrinsische Ziele sind deutlich schwerer zu erreichen und sind somit oft Ursache eines Misserfolges. Außerdem ist bei der Zielsetzung zu beachten, dass das anvisierte Ziel realistisch ist. Eine unrealistische Zielsetzung ist zu weit von der Wirklichkeit entfernt und dient gerade, wenn Schwierigkeiten zu überwinden sind, als schlechter Motivator. Im Gegenteil, es kann sich sogar sehr hemmend auf die Leistung auswirken.

Voraussetzungen und Analyse
Im Falle des Scheitern fällt es Ihnen sicher noch leicht, die Ursachen auszumachen. Und natürlich können auch platte Reifen, Materialschäden oder Erkältungen zum Nichterreichen des Zieles führen. Jedoch ist die Vorbeugung dieser Ereignisse zu banal, um im Rahmen dieser Ausarbeitung weiter beschrieben zu werden. Daher möchten wir im Speziellen auf die emotionalen Faktoren näher eingehen. Das Analysieren der eigenen Handlungsmuster setzt natürlich die Bereitschaft voraus, sich darauf einzulassen. Leider ist dies nicht jedem in die Hand gegeben. Ebenso wie nicht jeder für eine Psychotherapie geeignet ist. So mag Athlet A diesen Bericht interessiert lesen, während Athlet B nach den ersten Zeilen wegklickt. Und genau darin liegt der Unterschied! Wie kann man sich aber die emotionalen Beweggründe bewusst machen, die dazu geführt haben, dass man ein gesetztes Ziel nicht weiter verfolgen konnte beziehungsweise kann. Jeder muss für sich folgende Fragen offen und ehrlich beantworten:

Was will ich wirklich und bin ich bereit, für das Ziel einen bestimmten Einsatz zu geben?

Eine tolle Möglichkeit beschreibt auch eine Methode, die von Sandra Wallenhorst in der Dokumentation „I against me“ beschrieben wird: „Ich male mir aus, was im schlimmsten Fall passieren könnte. Dann stelle ich fest: Es ist ja gar nicht so schlimm.“ Aber auch ein positives Visualisieren ist möglich: Die Vorstellung der Gefühle, die beim Erreichen des Zieles zu spüren sein könnten, können ungeheuer motivierend auf eine Neubesinnung für das nächste Rennen oder die nächste Saison sein. Und wer von Ihnen hat noch nicht während eines einsamen Dauerlaufes im strömenden Regen vom Überqueren der Ziellinie mit dem von ihm erhofften Ergebnis geträumt … und dabei Gänsehaut bekommen?

Text: Dr. Christoph Simsch und Manfred Dohmen (Psychotherapeut)